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"Was bleibt, ist die weltweite Zivilgesellschaft"

Von Christine Zeiner

Politik

"Ein mutiger Quer- und Vorausdenker, der sich mit Zivilcourage für eine gerechte Welt einsetzt. Vor allem aber ist er ein ganz großer Mensch." So kündigte Getraud Knoll, Leiterin der Zukunfts- und Kulturwerkstatt, den Ökonomen und UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, Jean Ziegler, am Donnerstagabend im Rahmen seiner Buchpräsentation "Die neuen Herrscher der Welt und ihre globalen Widersacher" an.


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"Hinter jedem verhungerten Kind steht ein Mörder." Und es sind viele Kinder: "Alle sieben Sekunden stirbt irgendwo auf der Welt ein Kind unter zehn Jahren an Hunger." Jean Ziegler findet harte Worte für die seiner Ansicht nach Schuldigen: "Es sind die Herrscher der Welt, die jeden Tag beschließen, wer auf diesem Planeten leben und wer auf diesem Planeten zugrunde gehen wird."

Mit dem Ende der zweigeteilten Welt Anfang der 1990er Jahre habe sich die kapitalistische Produktionsweise vom Westen auf den gesamten Planeten ausgebreitet. "Dieser Produktionsmodus ist der brutalste, den es in der Geschichte der Menschheit bisher gegeben hat. Das Kapital rast um die Welt. Unglaubliche Reichtümer sind entstanden und gleichzeitig wachsen die Leichenberge. Die Globalisierung funktioniert."

Die "Oligarchen des Finanzkapitals" seien unsichtbar. Diese Intransparenz ist laut Ziegler entscheidend für den Neoliberalismus, da es so schwierig sei, die "Schuldigen" zu personifizieren. "Einen Börseindex an sich kann man nicht hassen", meint der Ökonom.

Welche Lösungen für eine gerechtere Welt gibt es nun? Ziegler hat nur eine Antwort, und die lautet: "Zivilgesellschaft." Der Ökonom glaubt nicht, dass der Ansatz, die Normativkraft der Territorialstaaten wieder herzustellen, aus der "mörderischen und absurden Weltordnung" führen kann. Dafür sei es zu spät. Das Gemeinwohl könne nicht mehr von den Nationalstaaten verteidigt werden, weil Konzerne transterritorial agieren würden. Aber auch von den Vereinten Nationen als "Globalbasis" hält er wenig: "Die UNO lebt in einer totalen Schizophrenie." Weltbank und Internationaler Währungsfonds (IWF) seien Teil des Systems und würden jeden Entwicklungsfortschritt etwa von UNICEF (dem UNO-Kinderhilfswerk) zunichte machen. In jedem Land, in dem der IWF seine sogenannten Strukturanpassungsprogramme durchsetzt, so Ziegler, steigt der Hunger.

"Was bleibt, ist die planetarische Zivilgesellschaft." Es habe sich eine Vielzahl von Widerstand formiert, der von der Landlosenbewegung in Brasilien, über die Menschenrechtsorganisation Amnesty International und die Umweltschutzorganisation Greenpeace bis zu den globalisierungskritischen Mitgliedern von Attac reicht. Eine Analyse dieser vielfältigen Zivilgesellschaft sei aber schwierig, erklärt der Schweizer, denn: "Was die Zivilgesellschaft fürchtet wie der Teufel das Weihwasser sind Hierarchie, Programme, Organisation und ein Generalsekretariat. Wir wissen, was wir nicht wollen: Diese gegenwärtigen Herrschaftsstrukturen." Gemeinsames Ziel seien die Werte der Aufklärung, wie sie etwa in der Menschenrechtsdeklaration festgehalten sind.

Jean Ziegler tritt dafür ein, selbst aktiv zu werden: "Gott hat keine anderen Hände als die unseren. Wir leben nur ganz kurz auf diesem Planeten, und in dieser Zeit sollen wir etwas tun, dass minimale Gerechtigkeit, minimales Glück möglich werden. Es gibt keine Entschuldigung für das Nichtstun."