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"Was bleibt, ist ein totes Kind"

Von Daniel Bischof

Mindestens fünf Sekunden wurde das zweijährige Mädchen 60 Grad heißem Wasser ausgesetzt.
© fotolia/Andrey Volokhatiuk

Die Berufungsverhandlung um den Fall Leonie endete mit milderen Urteilen für die Eltern. Die Mutter muss nicht ins Gefängnis.


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Wien. Oberstaatsanwalt Peter Gildemeister erhebt sich von seinem Platz. "Wirklich gerne stehe ich heute nicht da", sagt er. Unaussprechlich sei es, was in der Strafsache geschehen sei. "Wir sind im 21. Jahrhundert. Nicht im 13." Ausführlich und mit harten Worten prangert er das Verhalten der Angeklagten an, bevor er zum Schluss seines Plädoyers kommt. "Was bleibt, ist ein totes Kind", sagt Gildemeister und setzt sich wieder hin.

Ein totes Kind. Nachdem ihr Vater sie mindestens fünf Sekunden lang 60 Grad heißem Wasser ausgesetzt hatte, war die zweijährige Leonie am 10. November 2014 an den Verletzungsfolgen gestorben. Seit Oktober 2013 hatte er seine Tochter bis zu zwei Mal monatlich mit eiskalten "Strafduschen" ruhiggestellt. Die Mutter wusste davon und duldete es. Bei einer dieser "Bestrafungen" wurde Leonie heißem statt kaltem Wasser preisgegeben, da der Einhandmischer im Bad nicht richtig funktionierte.

"Nachdem der Vater das bemerkt hat, hat er das heiße Wasser einfach noch ein bisserl weiterrinnen lassen", so Gildemeister. Leonie erlitt schwerste Verbrühungen, die Haut fiel ihr ab. Die Eltern behandelten sie lediglich mit kühlendem Spray, Desinfektionsmittel und Verbänden. Erst nach 28 Stunden brachten sie Leonie ins Spital, wo das Mädchen den Verletzungen erlag.

Im März 2016 war der Vater in erster Instanz wegen Quälens und Vernachlässigens einer Unmündigen mit Todesfolge zu viereinhalb Jahren unbedingter Haft verurteilt worden. Die 27-jährige Mutter wurde als Beitragstäterin zu einem Jahr Haft, davon vier Monate unbedingt, verurteilt. Über die gegen das Urteil erhobene Strafberufung (siehe Kasten) der Eltern wurde am Dienstag vor einem Berufungssenat des Oberlandesgericht Wiens verhandelt.

Mit gesenktem Kopf

Nur wenige Menschen wohnten der Verhandlung im Saal F des Justizpalastes bei. Darunter die Eltern. Mit gesenktem Kopf saßen sie in der ersten Reihe. Meist auf den Boden schauend, verfolgten sie die Plädoyers ihres Verteidigers Roland Friis und des Oberstaatsanwalts Gildemeister. Während sich Friis kurz hielt und auf seine schriftlichen Eingaben verwies, nahm sich Gildemeister mehr Zeit. "Die Erstangeklagte hat nicht das getan, was eine fürsorgliche Mutter getan hätte", beklagte er. Dramatisch seien nicht nur die körperlichen, sondern auch die seelischen Qualen, die Leonie erlitten habe, sagte er.

Wortlos verfolgten die Eltern die Verhandlung. Als ihnen die Vorsitzende des Drei-Richter-Senates, Charlotte Habl, das Schlusswort erteilte, äußerte sich der Vater. "Es tut mir extrem leid", sagte er mit leiser Stimme. Die Mutter schloss sich den Aussagen ihres Verteidigers an.

Danach zogen sich die Richter für Beratungen ins Nebenzimmer zurück. Leise und undeutlich hörte man ihre Stimmen durch die Holztür. Nach einer Viertelstunde betraten sie wieder den Saal, um das Urteil zu verkünden.

Bedingt statt unbedingt

Die Strafe für die Mutter wurde erheblich abgeschwächt: Sie muss nicht ins Gefängnis. Die erstinstanzlich über sie verhängte teilbedingte Freiheitsstrafe wurde in eine gänzlich bedingte umgewandelt. Der Umstand, dass die Mutter die Tatverwirklichung "nur" durch Unterlassung begangen und sie bei der Tat ihre eigene Tochter verloren habe, sei als mildernd zu werten gewesen, führte der Berufungssenat aus.

Die beiden Angeklagten erhielten wegen der überlangen Verfahrensdauer zudem eine Strafreduktion von zwei Wochen. Die Erstrichterin habe zu lange für die schriftliche Urteilsausfertigung gebraucht. Die gesetzlich vorgeschriebene Frist von vier Wochen habe sie um vier Monate überschritten, erklärte Richterin Habl.

Das sei "sachlich nicht gerechtfertigt gewesen" und müsse durch eine "spürbare Strafmilderung ausgeglichen werden". Der Vater hat nach dem rechtskräftigen Urteil nun eine unbedingte Freiheitsstrafe in der Dauer von vier Jahren, fünf Monaten und zwei Wochen zu verbüßen. Der Mutter wird die Haftstrafe von elf Monaten und zwei Wochen unter Setzung einer Probezeit bedingt nachgesehen.

Gegen Schöffen- und Geschworenenurteile kann das Rechtsmittel der Strafberufung an das Oberlandesgericht erhoben werden. Die Strafberufung richtet sich gegen die Verhängung einer Maßnahme, die Strafart oder das Strafmaß.

So kann der Verurteilte beispielsweise vorbringen, dass die Strafe zu hoch ist. Eine Strafberufung bekämpft daher (angebliche) Fehler im Bereich des richterlichen Ermessens.

Eine Nichtigkeitsbeschwerde richtet sich hingegen gegen Verstöße zwingenden Rechts. In der Strafprozessordnung sind die Gründe abschließend geregelt, auf die sich eine Nichtigkeitsbeschwerde stützen kann.