Kernenergie bis heute verpönt. | Ruf nach Ausstieg aus Euratom-Vertrag. | Atomstromimporte nicht vermeidbar. | Zwentendorf. Tschernobyl. Temelín. Der österreichische Umgang mit der Kernenergie ist klar: Wir mögen sie nicht. Doch das war nicht immer so. Umfragen belegen etwa aus der Zeit um 1978, dass viele Österreicher sowohl vor, als auch nach dem magischen 5. November jenes Jahres sehr wohl für eine Inbetriebnahme des Kernkraftwerks im Tullnerfeld gestimmt hätten.
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Doch wie kam es dann dazu, dass heute die Ablehnung der Kernenergie im Verfassungsrang steht? 1968, als die Errichtung eines Kernkraftwerks von der ÖVP-Regierung beschlossen wurde, waren die Gefahren dieser Technologie noch weitgehend unbekannt. In den 1970ern - auch vor dem Hintergrund der Ölkrise - kam dann wohl die Angst davor dazu, dass hierzulande das Licht ausgehen könnte. Die Kernenergie galt (und gilt in vielen Ländern nach wie vor) als sinnvolle Alternative zu fossilen Brennstoffen.
Das sahen nicht alle so - und das ist wohl die größte Zäsur, die die Auseinandersetzung mit sich brachte. Denn der Widerstand gegen das Kernkraftwerk war der erste konzertierte Akt zivilen Aufbegehrens in Österreich: Über Parteigrenzen und ideologische Hintergründe hinweg demonstrierte man gegen ein Vorhaben der Regierung, und damit auch teils gegen die eigene Partei.
Dass die Volksabstimmung erst dann abgehalten wurde, als Bundeskanzler Bruno Kreisky wegen der 1979 anstehenden Nationalratswahlen kalte Füße bekam, das Kraftwerk aber schon längst betriebsbereit war, hat zu einem finanziellen Desaster geführt (siehe Interview rechts). Das sehen die Atomkraftgegner anders: Laut dem früheren Aktivisten Bernd Lötsch, heute Direktor der Naturhistorischen Museums, haben vor allem ausländische Firmen profitiert - das "einzig inländische an der Atomenergie ist das Risiko". Andererseits stand damals im Vertrag mit Siemens, dass 70 Prozent der am Zwentendorf-Bau beteiligten Firmen österreichische sein mussten.
EU-Land ohne Euratom?
Lötsch hat sich am Dienstag gemeinsam mit Peter Weish und Freda Meissner-Blau auch der Forderung der Grünen nach einem Ausstieg aus dem Euratom-Vertrag angeschlossen. Als EU-Nettozahler pumpt hier Österreich zwar viel Geld in die Kernenergie. Dieses Geld dient jedoch auch dazu, die Sicherheit der Kernkraftwerke in der EU zu gewährleisten. Und nicht zu vergessen: Der Euratom-Vertrag ist fixer Bestandteil des Vertragswerks der EU - wie ein Ausstieg aus nur einem Teil des Mitgliedsvertrags funktionieren soll, ist unklar.
Schließlich stellt sich auch die Frage der Versorgungssicherheit mit Energie: Österreich ist zwar ein Musterland, was die Energiegewinnung aus alternativen Ressourcen betrifft. Gleichzeitig wird aber auch Strom importiert - etwa 20 Prozent des österreichischen Stromverbrauchs stammen aus Kernanlagen.
Wir mögen die Kernenergie nicht, aber wir nutzen sie dennoch. Wie ist das mit dem "atomfreien Österreich" im Verfassungsrang?