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Ein politisches Gedankenexperiment.
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Was bleibt eigentlich von Österreich, sollte es dereinst tatsächlich die Vereinigten Staaten von Europa geben? Die Frage ist zugegeben hochspekulativ und nicht wirklich aktuell, wenn man bedenkt, dass vor noch nicht allzu langer Zeit in seriösen Medien von seriösen Politikern über ein mögliches Auseinanderbrechen der Union debattiert wurde. Da muss man jetzt nicht gleich ins andere Extrem verfallen. Und dennoch drängt sich die Frage auf: Was steht am Ende all dieser Entwicklungen in Europa? Ein ganz klein wenig wird dies sogar im EU-Wahlkampf debattiert, etwa wenn sich Grüne und Neos für die Vereinigten Staaten von Europa aussprechen.
Was also würde dann von Österreich bleiben? Wer würde die Erinnerung daran hochhalten, dass das Gebiet zwischen Boden- und Neusiedler See einmal ein Staat war - und über weite Teile seiner dann mehr als hundertjährigen Geschichte nicht einmal ein schlechter? Natürlich würden sich die Vorarlberger wohl schnell ihren schwäbischen Nachbarn zuwenden (und der Schweiz sowieso), die Tiroler den Südtirolern, Trentinern und Bayern, mit denen sich nach den Salzburgern auch die Oberösterreicher noch intensiver zusammenschließen würden; Letztere haben daneben noch die Böhmen; Niederösterreich und Burgenland würden wohl weiter um die Metropole Wien kreisen, hätten aber Südmähren und die westliche Slowakei und Ungarn; die Steirer und Kärntner schließlich würden sich wohl nach Süden orientieren, gen Slowenien, Friaul und Venetien.
Diese regionalen Fliehkräfte würden allein schon dadurch bestärkt, dass die zentralen Institutionen der Republik, also Regierung und Nationalrat, auf die Rolle von Provinzgouverneuren und Landtagen reduziert wäre (böse Zungen sehen diese Zukunft schon im Heute verwirklicht), was wiederum den Drang nach mehr Gestaltungsspielraum in den (transnationalen neuen) Regionen befeuern würde . . .
Mit dieser Entwicklung wäre eine durchaus spannende Dynamik losgetreten, an deren Ende auch gänzliche neue politische Institutionen stehen könnten, um den neuen Regionen in politischer Hinsicht Gesicht, Stimme und Gewicht zu verleihen.
Nicht ausgeschlossen, dass am Ende das Amt des Bundespräsidenten als letzte Erinnerung an den Nationalstaat Österreich übrigbleibt und zumindest ein rudimentäres Wir-Gefühl der Zusammengehörigkeit hochhält.
Geht es nach Manfried Welan, dem Verfassungsrechtler und intimen Kenner der Rolle des Bundespräsidenten, könnten die Nachfolger Heinz Fischers schon sehr viel früher das neue Amtsverständnis verkörpern. Dann nämlich, wenn die Pluralisierung der Parteienlandschaft weiter anhält und SPÖ und ÖVP auf den Status normaler, austauschbarer Bewegungen schrumpfen. Wenn dann noch die Koalitionen nicht nur immer bunter werden, sondern auch noch immer schneller wechseln, wenn die Regierung damit beschäftigt ist, österreichische Interessen in Brüssel zu vertreten, dann ändert sich zwar verfassungsrechtlich nichts, aber im weiten und ungefähren Reich der Politik der Gefühle bleibt dann womöglich der Bundespräsident als letzte unumstrittene Instanz des politischen Österreichs zurück.