Nach der gescheiterten Verfassung für die EU-25 wird in der Union vor einem "Europa der zwei Geschwindigkeiten" gewarnt. "Die Gefahr muss man sehen", meinte gestern auch Bundeskanzler Wolfgang Schüssel. "Wir dürfen uns nicht abtrennen lassen." Österreich müsse signalisieren, "was immer auch ist, wir hängen uns dran", betonte Schüssel erneut.
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"Neun von zehn Erweiterungsländern haben hervorragend mitgearbeitet", sagte Schüssel im Parlament, als er die Präsidiale - die Nationalratspräsidenten Andreas Khol (V) und Heinz Fischer (S) sowie Parteienvertreter - über den Verfassungsgipfel informierte. Neuerlich nahm Schüssel von Schuldzuweisungen Abstand und verteidigte die italienische EU-Präsidentschaft. Regierungschef Silvio Berlusconi habe sich "bemüht, eine Optimierung zu Stande zu bringen".
In der EU wird nun frühestens im zweiten Halbjahr 2004, unter der EU-Ratspräsidentschaft der Niederlande (einem Gründerstaat), mit der Neuaufnahme der Verfassungsverhandlungen gerechnet. Der luxemburgische Ministerpräsident und Finanzminister Jean-Claude Juncker meinte, es habe keinen Sinn, gleich wieder Termine zu setzen. In der zweiten Jahreshälfte 2004 kommen damit auf die Union mehrere schwierige Themen gleichzeitig zu: die Neubesetzung der Kommission, die einsetzenden Verhandlungen über den Finanzrahmen ab 2007 (einen ersten Vorschlag der Kommission soll es im Frühjahr geben), die Frage möglicher Beitrittsverhandlungen mit der Türkei und eben die Verfassung.
Unterdessen haben Österreich, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, die Niederlanden und Schweden die Kommission zu Budgetdisziplin aufgefordert. Im neuen Finanzrahmen (2007-2013) solle das EU-Budget 1,0 Prozent des Bruttonationaleinkommens (BNE) nicht übersteigen, heißt es in einem Brief der sechs Regierungschefs an Kommissionspräsident Romano Prodi.
An dem Ziel eines neuen europäischen Grundgesetzes wird einhellig festgehalten. Um Europa voranzubringen, hatte Frankreichs Präsident Jacques Chirac angesichts der gescheiterten Verfassung aber die Bildung einer "Gruppe von Pionieren" vorgeschlagen. Ein Europa der zwei Geschwindigkeiten könne kein Ziel an sich sein, sagte Luxemburgs Premier Juncker. Wenn sich einige verweigerten, sei es aber sehr wohl möglich, dass es ein Kerneuropa geben werde, "dass Länder mit hoch angesiedelten Ambitionen für sich alleine weitermachen in der Hoffnung, dass andere später nachziehen". Bereits im Jänner oder Februar könnte es ein Treffen von Staaten geben, die enger kooperieren wollen.
Deutschland wolle kein Auseinandertreiben Europas in verschiedene Kerne, beteuerte auch Außenminister Joschka Fischer. Sollte sich die EU aber nicht auf eine Verfassung einigen, "werden die Probleme nicht auf ihre Lösung warten, dann wird es um ein Europa der mehreren Geschwindigkeiten gehen".
Österreichs EU-Kommissar Fischler und SPÖ-Europasprecher Einem ebenso wie EU-Parlamentspräsident Cox lehnen jedoch ein Kerneuropa ab (siehe die beiden Berichte). Staaten, die auf diese Art kooperieren wollten, müssten sich im Rahmen der EU-Verträge bewegen, unterstrich in Brüssel Kommissionssprecher Reijo Kemppinen. Dies sei über die "Verstärkte Zusammenarbeit" laut dem Vertrag von Nizza möglich. Zumindest acht Länder müssen daran teilnehmen.