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Was Covid-Aerosole in freier Wildbahn tun

Von Eva Stanzl

Wissen
Superspreader: Vieles begünstigt eine Infektion.
© adobe/deagreez

Die Rolle von Schwebteilchen bei der Coronavirus-Übertragung wird kontrovers diskutiert. Wie gefährlich sie sind, ist unklar.


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Die Rolle von Aerosolen bei der Übertragung der Lungenkrankheit Covid-19 wird kontrovers diskutiert. Infizierte würden Viren nicht nur durch Husten und Niesen, sondern auch unmerklich mit dem Atem ausscheiden, betonen Experten: Die winzigen Schwebeteilchen, auch Aerosole genannt, würden von anderen eingeatmet.

Superspreader-Ereignisse, etwa bei Chorproben, weisen darauf hin, dass Viruspartikel in Aerosolen die Infektion vieler Menschen im Umkreis zur Folge haben können. Unklar ist allerdings, wie häufig das im Alltag passiert und wie groß der Anteil der Aerosole bei den Ansteckungen im Gesamten ist. US-Forscher berichten von einem weiteren Schritt hin zu einer Lösung dieses Rätsels.

In einem Spitalsversuch konnten sie nachweisen, dass von Corona-Patienten ausgestoßene Aerosole intakte, überlebensfähige Viruspartikel enthielten. Das Team sieht dies als Bestätigung dafür, dass Sars-CoV-2 auch über die winzigen, lange in der Luft verbleibenden Schwebeteilchen übertragen werden kann, schreibt es im Pre-Print-Server "medrxiv" des "British Medical Journal" und der Universität Yale. Die Forscher um John Lednicky von der Universität Florida untersuchten Proben der Raumluft aus der Umgebung zweier Covid-19-Patienten in einem Klinikzimmer. Selbst aus Proben, die in fast fünf Metern Abstand zu den Patienten genommen worden waren, seien noch aktive Sars-CoV-2-Partikel isoliert worden, berichten sie. Genetische Analysen hätten bestätigt, dass diese von dem Patienten mit Covid-19-Atemwegssymptomen im Raum stammten. Ein Sicherheitsabstand von eineinhalb oder zwei Meter könne mithin ein falsches Gefühl von Sicherheit vermitteln, heißt es in der Studie. Diese ist allerdings noch nicht in einem Fachjournal veröffentlicht und damit noch nicht von unabhängigen Gutachtern geprüft.

Bedeutung in der Praxis

Und jetzt? Der Wiener Virologe Franz-Xaver Heinz plädiert für eine differenzierte Betrachtung. "Wenn wir sprechen, niesen und husten, stoßen wir mehr oder weniger große Tröpfchen aus. Da Viren klein sind, können sie auch in den kleinsten Tröpfchen sein. Masken sind ein physikalischer Schutz, doch feine Aerosole können auch seitlich entweichen", hält er zunächst grundlegend fest.

Laut Studie könne man "nicht mit 100-prozentiger Sicherheit ausschließen", dass man sich über Aerosole mit Covid-19 infizieren kann - Schutzanzüge für Ärzte hätten somit durchaus Sinn. "Die Frage ist aber, wie bedeutend das in der Praxis ist, wo wir den Großteil der Infektionen durch Abstand und Gesichtsmasken verhindern können", sagt Heinz zur "Wiener Zeitung". Der renommierte Mediziner fühlt sich an die ersten Forschungsergebnisse zu HIV erinnert, das auch im Speichel und in der Tränenflüssigkeit nachgewiesen wurde. "Somit kann man rein wissenschaftlich nicht 100-prozentig ausschließen, dass Aids durch Küssen übertragen wird, aber es zeigte sich, dass das sehr unwahrscheinlich ist, weil die Krankheit in erster Linie durch Geschlechtsverkehr weitergegeben wird." Erst Tests der Aerosole von asymptomatischen Infizierten in freier Wildbahn "oder Personen bei einer Geburtstagsparty" könnten die Bedeutung der Erkenntnisse für den Alltag aufzeigen, "doch die gibt es derzeit noch nicht", sagt Heinz.

Ob es sinnvoll ist, alleine mit Maske im Lift zu fahren, weil ihn davor andere Leute mit freiem Gesicht benutzt haben, wissen wir also immer noch nicht so recht. Und sollte man eine Einladung zu einer Party mit zehn Personen in eine 40-Quadratmeter-Wohnung annehmen oder ablehnen? Auch das wissen wir nicht. Im Grunde aber sei bei Covid-19 so vorzugehen wie bei anderen Atemwegserkrankungen: Wer länger neben einem Infizierten sitzt und sich mit ihm unterhält, steckt sich leicht an.

"Die Studie zeigt, dass Viren sich über Aerosole verbreiten können. Allerdings muss in den Schwebeteilchen eine gewisse Menge vorhanden sein", betont die Vakzinologin Ursula Wiedermann-Schmidt: "Über 500 Virus-Partikel müssen übertragen werden, damit ein Infektionsschritt erfolgen kann, und das wiederum passiert am ehesten, wenn man direkt angeniest, angehustet oder angespuckt wird. Von anderen Infektionskrankheiten ist bekannt, dass sie die Grenzschwelle in Räumen ohne gute Luftzirkulation sehr wohl erreichen können." Soll heißen Party bis auf Weiteres dann doch im Freien? Nicht unbedingt, denn nicht jeder Mensch scheidet gleich viele Viren aus. Eine hochinfektiöse Person zwei Tage vor bis fünf Tage nach dem Ausbruch steckt in einem engen Raum zahlreiche Personen durch Anniesen, Anspucken und enges Zusammensein an - in einem Lift mit Maske aber vielleicht nicht.