Die EZB ruft wegen der Corona-Krise zu weiterem Schuldenmachen auf. In Europa und den USA klaffen die Bond-Renditen indes weit auseinander.
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Mehr denn je ist der Anleihenmarkt die wichtigste Finanzierungsquelle für Staaten - gerade in der jetzigen Viruskrise. Erst vor wenigen Tagen warnte der Vizechef der Europäischen Zentralbank (EZB), Luis de Guindos, vor einer übereilten Rücknahme der Corona-Hilfen für die Eurozone. Ein zu frühes Stoppen der staatlichen Hilfen könnte eine Insolvenzwelle auslösen, betonte der Stellvertreter von Notenbankchefin Christine Lagarde. Damit hat die EZB den Euroländern offiziell den Freibrief ausgestellt, noch mehr Schulden zu machen. Für die Finanzmärkte bedeutet das, dass die Staaten weiter Anleihen zu günstigen Konditionen emittieren werden, da sie sicher sein können, dass die EZB diese ohnehin zu einem Gutteil kauft. Vor diesem Hintergrund hat die "Wiener Zeitung" die jüngsten Äußerungen des EZB-Vizechefs zum Anlass genommen, um mit heimischen Finanzexperten über die aktuellen Trends am Markt für Staatsanleihen zu sprechen.
"Durch die Hilfsmaßnahmen werden die Schuldenniveaus weiter steigen, und die Haushaltsdefizite werden sich noch vergrößern", sagt Markus Duernberger, leitender Asset-Manager des Bankhauses Spängler. Dass die enormen finanziellen Anstrengungen der Staaten bei ihren Corona-Hilfen überhaupt möglich sind, führt der Experte vor allem auf die Zentralbanken zurück, die diesmal im Vergleich zu vorangegangenen Krisen wie der Weltfinanzkrise und der Euro-Schuldenkrise noch umfangreichere Maßnahmen gesetzt hätten. "So ermöglichen Leitzinssenkungen, Anleihekaufprogramme und Kreditlinien für Banken den Staaten eine langfristige und bezahlbare Schuldenaufnahme", wie Duernberger weiter erklärt.
Große Nachfrage nach "grünen Anleihen"
Während Staatsanleihen mit mehr als 15 bis 20 Jahren Laufzeit in früheren Jahren die Ausnahme gewesen seien, stellten Papiere mit derart langer Fristigkeit heute den Regelfall dar. "Nicht selten nehmen die Staaten Schulden für 50, 70, ja sogar 100 Jahre auf", sagt Duernberger. "Bedingt durch das rekordtiefe Zinsumfeld und regulatorische Vorgaben treffen sie damit jedoch auf ausreichend Nachfrage." Mit den Zentralbanken träten nämlich "zusätzliche Käufer" auf, "die über eine prall gefüllte Kasse verfügen und die einmal erworbenen Papiere meist bis zur Fälligkeit in ihren Büchern halten". Dadurch nehme zwar die für die Finanzmärkte so wichtige Liquidität deutlich ab, so Duernberger. "Gleichzeitig schwinden aber die Bonitätssorgen der Anleger und die Risikoaufschläge laufen in engen Bandbreiten zusammen."
Die zukünftige Entwicklung sieht der Spängler-Experte auch bei Staatsanleihen stark von den Themen Klima- und Umweltschutz geprägt. Vor allem in Europa werde das 2019 ausgerufene Klimapaket ("Green Deal") für ein Umdenken bei der Verwendung der Haushaltsgelder sorgen. Wie Duernberger dazu anmerkt, habe etwa Frankreich als einer der Vorreiter vor kurzem einen sieben Milliarden Euro schweren Green-Bond mit Laufzeit bis 2044 emittiert und sei damit bei den Investoren auf eine fast fünfmal so große Nachfrage gestoßen. Detail am Rande: Auch die EU-Kommission plant, den zur Bewältigung der Corona-Krise geschaffenen Wiederaufbaufonds teilweise mit "grünen" Anleihen zu refinanzieren.
Steigende Renditen "durchaus als positive Zeichen zu sehen"
Nach den Worten von Felix Düregger - er ist leitender Asset-Manager der Bank-Austria-Tochter Schoellerbank - sind Staatsanleihen in den vergangenen Jahren "vor allem in Europa eine sehr teure Anlageklasse" geworden. "Natürlich ist der Markt inhomogen", sagt der Finanzexperte weiter. Einerseits seien deutsche und französische Staatsanleihen als Benchmarks am teuersten, was bedeute, dass man für sein Investment die geringsten oder sogar negative Renditen im Austausch für eine hohe Sicherheit in Kauf zu nehmen habe. "So müssen Investoren Laufzeiten von mehr als zehn Jahren kaufen, um positive Renditen zu erzielen." Andererseits würden beispielsweise spanische Staatspapiere bereits ab sieben Jahren positive Renditen bieten, Anleger müssten dafür aber ein schlechteres Rating akzeptieren, so Düregger.
"Zuletzt waren in Europa, aber insbesondere in den USA Renditeanstiege bei lange laufenden Staatspapieren zu beobachten. Diese bedeuten zwar Verluste für Renten-Investoren, spiegeln aber eine positive Konjunkturerwartung und auch anziehende Preise wider." Sie seien damit also "durchaus als positive Zeichen zu sehen", erklärt der Schoellerbank-Experte. So interpretiere das auch die US-Notenbank, sie habe die Renditen zehnjähriger Treasuries in wenigen Monaten ungehindert über 100 Basispunkte (entspricht einem Prozentpunkt, Anm. d. Red.) ansteigen lassen. Für Europa geht Düregger davon aus, dass die EZB dermaßen starke Zinsanstiege im Sinne der europäischen Schuldenunion nicht zulassen und ein anhaltend niedriges Zinsniveau schützen wird. "Auch sind die Inflationserwartungen in Europa noch bei Weitem nicht so hoch wie in den USA", sagt Düregger. Dennoch rechnet er auch für die kommenden Monate und Quartale mit weiter steigenden Staatsanleihen-Renditen.
Keine Anzeichen für Staatsschuldenkrise
Dass sich die Renditen bei zehnjährigen US-Staatsanleihen von plus 0,5 auf plus 1,7 Prozent bereits mehr als verdreifacht haben, während bei den Renditen der europäischen Pendants noch durch die Bank ein Minus voransteht, führt Karl Freidl, Chef des Vermögens- und Fondsmanagements der Steiermärkischen Sparkasse, auf die unterschiedliche Geschwindigkeit in der Konjunkturerholung der USA und Europas zurück. "Die Eurozone hat darüber hinaus nach wie vor mit ihren völlig unterschiedlichen Gegebenheiten zu kämpfen, die sie in Nord und Süd teilen."
Eine mögliche Staatsschuldenkrise im Euroraum sieht Freidl indes nicht: "Zurzeit gibt es keine Anzeichen dafür. Auch wenn wir eine steigende Inflation erwarten, dann doch nicht in einem zweistelligen Ausmaß, das jedes Vertrauen in den Euro und die Staatsanleihen erschüttern würde." Freidl geht für die Zukunft sogar von einem noch stärkeren Euroraum aus: "Die beiden letzten großen Krisen - 2008 und 2020 - haben gezeigt, dass gerade in Zeiten der stärksten Unsicherheit viele andere Währungen gegenüber dem Euro abwerten, selbst jene von Staaten mit guter Bonität", verweist er etwa auf dessen Wechselkursentwicklung zur norwegischen und schwedischen Krone.
Zur Performance von Euro-Staatsanleihen erklärt Freidl, dass die EZB diese "sehr deutlich beeinflusst" habe, als sie begann, staatliche Bonds in großem Stil zu kaufen. "Um noch weitere Effekte zu erzielen, müssten die Kaufprogramme wohl noch ausgeweitet werden, was aber nicht sehr wahrscheinlich ist." Nächster Schritt wären aus Freidls Sicht Eurobonds, "die wir eigentlich über die Hintertür - durch das EZB-Notfallprogramm Pepp - ohnehin schon haben". Solange also die Europäische Zentralbank in irgendeiner Form als Anleihenkäufer auftrete, "werden die Renditen nicht wesentlich steigen", ist Freidl überzeugt.
"Wir sind aber andererseits am Ende der Fahnenstange angelangt", sagt der Finanzmarktexperte weiter. "Wir erwarten nicht, dass die minus 0,7 Prozent, die wir für zehnjährige deutsche Staatsanleihen letztes Jahr gesehen haben, noch einmal unterboten werden." Somit rechnet Freidl mit keinen Kurssteigerungen mehr aufgrund weiter sinkender Renditen. Sein Fazit: Auch wenn Staatsanleihen im Portfolio die Funktion des Stabilisators haben, Ertrag generieren sie für Anleger künftig keinen mehr.