EU-Zulassung dürfte jetzt noch vor Weihnachten erfolgen. Über die Strategie in Österreich, die Risiken und den Nutzen.
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Mit der Pockenimpfung hat alles begonnen. Es war die erste Impfung gegen eine unfassbare Volksseuche. Ein Großteil der indigenen Bevölkerung der heutigen USA dürfte nach Ankunft der Europäer daran gestorben sein, und in Europa starben bis ins 18. Jahrhundert auch noch etwa zehn Prozent aller Kinder. Seit 1980 gilt das Virus als ausgerottet. Dank der Impfung.
Methode, Forschung, Zulassung, Impfstrategie - das alles lief vor mehr als 200 Jahren noch gänzlich anders ab. In Österreich nämlich so: Der niederländische Arzt Jan Ingenhousz war auf Empfehlung des englischen Königs 1768 nach Wien gekommen, um die Methode der Variolation vorzustellen. Sie bestand darin, Eiterflüssigkeit aus den Pusteln Erkrankter in gesunde Kinder einzubringen. Der Leibarzt Maria Theresias, die selbst ein Kind an die Pocken verlor und auch selbst an ihnen erkrankt war, lehnte diese Methode anfangs ab. Also brachte man arme Kinder aus einem Meidlinger Waisenhaus nach Schönbrunn und machte aus ihnen Probanden. Da sich die Impfung als Erfolg herausstellte, ließ der Hof seine Mitglieder impfen, und Ingenhousz wurde weiter zu anderen Habsburgerhäusern entsandt.
Mit den Grausamkeiten des 18. Jahrhunderts hat die Entwicklung eines Impfstoffes gegen Covid-19 nichts zu tun. Noch in diesem Jahr könnte die EU-Kommission den ersten Impfstoff von Biontech/Pfizer zulassen, der in den USA und Großbritannien dank einer Notzulassung bereits geimpft wird. "Wir setzen auf eine genaue Prüfung", sagt Gesundheitsminister Rudolf Anschober. Ursprünglich für den 29. Dezember geplant, wird die europäische Arzneimittelbehörde (EMA) sogar noch vor Weihnachten eine Empfehlung abgeben. Am Dienstag bestätigte die EMA den 21. Dezember, also acht Tage früher. Die Kommission als Behörde erklärte bereits davor, binnen drei Tagen zu entscheiden, also könnte die Zulassung am Heiligen Abend erfolgen.
Dass es auch beim Coronavirus 200 Jahre dauern wird, bis die Erkrankung ausgerottet ist, sollte man nicht fürchten. Andererseits aber auch nicht die Hoffnung haben, dass in wenigen Monaten alles vorbei ist. Gerade die ersten Impfstoffe, die sich im Zulassungsverfahren befinden, zielen auf den Schaden ab, den das Virus verursacht, und das ist die Erkrankung an Covid-19, wie der Infektiologe und Impfexperte Herwig Kollaritsch erklärt.
Vorerst nicht bekannt ist, ob diese Impfungen auch eine Übertragung verhindern. Nur wenn gar keine Infektion ausgelöst wird, bietet die Impfung auch einen Fremdschutz. Und nur in diesem Fall kann auch Herdenimmunität erreicht werden. Bis dahin, und rund 200 Impfstoffe befinden sich noch in früheren Entwicklungsphasen, sei der Schutz mit dem FSME-Impfstoff ("Zeckenimpfung") zu vergleichen, wie Kollaritsch erklärt. Es ist ein reiner Selbstschutz.
Eine Million Impfdosen bis zum März
Österreich erwartet von Hersteller Pfizer im Jänner 250.000 Impfdosen (zwei Impfungen für je 125.000 Personen), im Februar weitere 331.000, wie Impf-Koordinator Clemens Martin Auer berichtet. Auch der Produzent Moderna hat im ersten Quartal 200.000 Impfdosen zugesichert. Beim Impfstoff AstraZeneca gibt es Verzögerungen, da eine Studie wiederholt werden muss. Laut Auer könnte aber im Februar die Zulassung erfolgen und dann auch sehr rasch ausgeliefert werden. "Im März wären wir dann schon bei einer Million Impfdosen."
In Deutschland rechnet Gesundheitsminister Jens Spahn, dass Ende des Sommers etwa 60 Prozent der Bevölkerung geimpft sein könnten. Das gibt auch der österreichische Impfplan her, schon ab dem zweiten Quartal soll in der Breite immunisiert werden, nicht nur in ausgewiesenen Risikogruppen. Insgesamt gibt es sieben Priorisierungsstufen, einerseits absteigend nach Alter, aber auch nach Exposition (Bildungsbereich, Polizei, Sozialberufe, etc.). Nicht geimpft, weil sie in den Studien nicht eingeschlossen waren, werden Personen unter 16 Jahren sowie Schwangere und Stillende.
Die Zeitpläne können aus verschiedenen Gründen abweichen. So werden zum Beispiel auch alle Chargen genau geprüft, um Sicherheit zu gewährleisten. Passieren kann immer etwas, bei der Produktion, der Lieferung, der Lagerung.
Hohe Impfrate schützt das Gesundheitssystem
Auch wenn mit dem reinen Eigenschutz keine Herdenimmunität erreicht werden kann, ist eine hohe Impfrate wichtig. Je weniger (schwer) erkranken, desto weniger wird das Gesundheitssystem belastet. Durch die hohe Zahl von Covid-Patienten konnten in den vergangenen Wochen viele andere Behandlungen nicht vorgenommen werden. Gleichzeitig ist auch wichtig, dass Geimpfte weiterhin die Hygieneregeln beachten.
Die Wirksamkeit der Impfstoffe ist laut den Studien zwar sehr hoch (rund 95 Prozent), einen hundertprozentigen Schutz stellen sie aber nicht dar. Auch schwere Verläufe sind nicht ausgeschlossen und in einem Fall bei Biontech/Pfizer auch passiert. Kollaritsch hält es zudem für denkbar, dass der Schutzfaktor noch etwas nach unten korrigiert wird, wenn einmal weltweit Millionen geimpft sind. Und zudem ist eben auch damit zu rechnen, dass auch Geimpfte das Virus weitergeben können, auch an Nicht-Geimpfte.
Beim Wirkstoff von AstraZeneca gibt es laut Kollaritsch immerhin zarte Hinweise darauf, dass auch die Übertragung eingeschränkt wird. Zudem besteht insgesamt die Hoffnung, dass mangels Erkrankung zumindest die Virusmenge geringer ist und Geimpfte daher zu keinen "epidemiologischen Bomben" werden, wie es der Mediziner formuliert. Solange die Impfung aber keinen Fremdschutz verspricht, spielt auch die hitzig diskutierte Frage einer Impfpflicht eine untergeordnete Rolle. Kollaritsch selbst erklärt sich zum entschiedenen Gegner einer Pflicht, und auch Anschober bekräftigte am Montagabend, keine Impfpflicht einführen zu wollen. Man setze auf Information.
Schon diese Woche soll eine Hotline eingerichtet werden, und auf der Website des Ministeriums befindet sich bereits ein recht ausführlicher Frage-Antwort-Katalog. "Wir wollen nichts verschweigen", sagt Anschober. Es geht dabei unter anderem um die neuen Methoden, die zu Verunsicherung führen, sowie um Reaktionen und Nebenwirkungen. Und die wird es auch geben, wie Kollaritsch erklärt, der unter anderem dazu auch ein kleines Buch verfasst hat.
Impfreaktionen sind zu erwarten
Von den Corona-Impfstoffen weiß man, dass der Körper reagiert, "und das geht automatisch mit einer Symptomatik einher". Es handele sich um keine Erkrankung, sondern um eine "Beeinträchtigung des Wohlbefindens", wie Kollaritsch sagt. Das kann Müdigkeit sein, Kopfweh, auch Fieber. Die Impfreaktion klingt nach wenigen Tagen ab. "Es ist zu erwarten, dass wir das spüren."
Was anderes sind Nebenwirkungen, aber die sind sehr selten. Wie selten, lässt sich nach einer Studie mit rund 40.000 Probanden (inklusive Placebo-Gruppe) noch nicht sagen. Kollaritsch nennt ein Beispiel: Bei der Masernimpfung kann in einem von einer Million Fällen eine Enzephalitis auftreten. Das ist eine ernste Erkrankung, sei aber behandelbar. Zur Relation: In Österreich stirbt in etwa einer von 200, der an Covid erkrankt. In wenigen Monaten wird umfassendes Datenmaterial vorliegen, für Reaktionen und Nebenwirkungen gibt es Meldepflichten.
Neben dem Übertragungsschutz und extrem seltenen Nebenwirkungen ist auch die Schutzdauer eine offene Frage. Aber selbst bei einer nur einjährigen Immunität würde statistisch pro 30 Impfungen ein Krankheitsfall, und pro 2.000 Impfungen ein Todesfall verhindert werden. "Es gibt fast keine andere Impfung, die eine so gute Bilanz hat", sagt Kollaritsch.
Buchtipp~