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Was der Mensch angerichtet hat

Von Heiner Boberski

Wissen
16. Juli 1945: Atombombentest in Alamogordo - hat damit erst das Anthropozän begonnen?
© corbis

Forscher fragen, wie man das Anthropozän definieren kann und ob man es so nennen sollte.


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Wien/Charlottesville (USA). Ist es eine gute Idee, die Epoche, in der wir leben, Anthropozän zu nennen und exakt zu definieren? Wissenschafter um den Geologen und Paläoklimatologen William F. Ruddiman von der University of Virginia in Charlottesville stellen in einem aktuellen Beitrag für das Magazin "Science" diese Frage. Der Begriff hat sich für jene Periode eingebürgert, in der Menschen hinsichtlich der Umwelt die Natur als dominierende Kraft abgelöst haben. Aus Sicht der Autoren sollte er nur informell und mit einem kleingeschriebenen "a" verwendet werden. Dies wäre ein guter Weg, um die vielfältigen industriellen und landwirtschaftlichen Veränderungen, die Menschen im Lauf der Jahrtausende herbeigeführt haben, einzuschließen.

Kein "goldener Nagel"

Aufgebracht wurde der Begriff Anthropozän im Jahr 2000 vom niederländischen Chemiker und Nobelpreisträger Paul Crutzen und dem amerikanischen Biologen Eugene F. Stoermer. Als Beginn dieses Zeitalters, in dem der Mensch die biologischen, geologischen und atmosphärischen Prozesse auf der Erde massiv beeinflusst, favorisierten sie das späte 18. Jahrhundert. Sie bezogen sich damit auf die damalige industrielle Revolution, basierend auf der Erfindung der Dampfmaschine durch James Watt. Ruddiman und seinen Kollegen fehlt hier aber eine Schlüsselanforderung für eine "formelle stratigraphische Festsetzung", sozusagen ein "goldener Nagel", der weithin in geologischen Datensätzen zu finden ist.

Schon eher habe einen solchen 2014 eine Arbeitsgruppe der Geological Society of London um Jan Zalasiewicz von der Universität Leicester geliefert. Diese empfahl als Beginn des Anthropozäns den 16. Juli 1945, weil damals in Alamogordo in New Mexico der erste Atombombentest stattfand. Die isotopischen Nebenprodukte von Bombentests seien unverwechselbare Markierungen in Eisbohrkernen, Sedimenten in Ozeanen und Seen sowie in Böden. Was diese Experten eine "stratigraphisch optimale" Wahl genannt haben, stehe freilich, so die Ruddiman-Gruppe, für jene Wissenschafter noch auf dem Prüfstand, die sich mit der langen Geschichte großer und profunder menschlicher Einflüsse auf unseren Planeten genauer befasst haben.

Als Beispiel nennen die Forscher das vor 50.000 bis 12.000 Jahren erfolgte Aussterben von etwa 65 Prozent der großen Säugetierarten, mit den zwei abruptesten Aussterbensperioden in Australien und Amerika. Das Klima dürfte dabei kein Hauptfaktor gewesen sein, denn die meisten dieser Arten hätten zuvor rund 50 Zyklen von Eiszeiten und Zwischeneiszeiten überlebt. Die wahrscheinlichste Erklärung für diese dramatischen und zuvor nie eingetretenen Untergänge seien Jagd und Brand durch gerade angekommene Menschen.

Landwirtschaftliche Revolution

Vor etwa 11.600 Jahren habe mit dem Holozän eine noch tiefer gehende humane Veränderung der Erdoberfläche begonnen: die neolithische landwirtschaftliche Revolution. Die folgenden Jahrtausende hätten die Domestizierung von Pflanzen und Tieren gebracht, die Ausbreitung der Landwirtschaft über die bebaubaren Flächen der Erde. Schließlich sorgte die vor rund 7000 Jahren einsetzende Rodung von Wäldern für Kohlendioxid-Emissionen, der Reisanbau und die Viehwirtschaft brachten Methan-Emissionen.

Das Team um Ruddiman nennt noch etliche menschliche Aktivitäten, die schon vor dem Industriezeitalter ein weltweit signifikantes Niveau erreichten. Durch die Industrialisierung haben sich die Veränderungen in den letzten 200 Jahren verstärkt, ausgeweitet und beschleunigt. Würde man das Anthropozän 1945 beginnen lassen, blieben aber, so die Forscher, die extensiven landwirtschaftlichen und früh-industriellen Veränderungen ausgespart: "Macht es wirklich Sinn, den Beginn einer human-dominierten Ära Jahrtausende später anzusetzen als das Abholzen der meisten Wälder in urbaren Regionen für die Landwirtschaft, als das Bewässern der meisten Reisfelder, als das Ansteigen von Kohlendioxid- und Kohlenwasserstoff-Konzentrationen infolge landwirtschaftlicher und industrieller Emissionen?"

Fazit von Ruddiman: Man sollte die ganze lange Geschichte der menschlich verursachten Umwelttransformationen auf diesem Planeten "anthropozän" (kleingeschrieben) nennen.