Während das Bewusstsein ruht, führt das Gehirn nötige Wartungsarbeiten durch. | Neue Fertigkeiten werden im Schlaf geprobt. | Marne/Holstein. Lebewesen brauchen Schlaf. Selbst Fruchtfliegen machen in ihrem äußerst kurzen Leben gelegentlich ein Auge zu. Zweizehen-Faultiere gönnen sich den Luxus, jeden Tag rund 20 Stunden schlafend zu verbringen. Raubtiere wie Löwen, Tiger oder Jaguare gönnen sich mehr als zwölf Stunden Schlaf täglich. Allenfalls einige wenige Stunden Schlaf können sich hingegen solche Pflanzenfresser leisten, die ständig vor Raubtieren auf der Hut sein müssen.
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Warum es zwischen den Tierarten dermaßen starke Abweichungen bei der durchschnittlichen Schlafdauer gibt, ist nicht völlig geklärt. Ohne Zweifel spielen unterschiedliche Lebensbedingungen eine Rolle. Offenbar sind Raubtiere eher Langschläfer, weil es sie verhältnismäßig wenig Zeit kostet, sich ihre kalorienreiche, fleischliche Nahrung zu beschaffen. Zudem ist sie das Risiko relativ gering, dass sie zur Schlafenszeit anderen Raubtieren, die auf der Suche nach einem saftigen Happen sind, zum Opfer fallen.
Hingegen fehlt etlichen Pflanzenfressern die Zeit für ausgedehnte Schlafphasen, weil sie den Großteil des Tages damit beschäftigt sind, sich mit gigantischen Mengen von kalorienarmen Gräsern oder Blättern den Bauch vollzuschlagen. Allein deswegen bleiben Elefanten Tag für Tag 20 Stunden wach. Hinzu kommt, dass die meisten Pflanzenfresser Räuber zu fürchten haben und sich deswegen mit einem kurzen, leichten und häufig unterbrochenen Schlaf begnügen müssen. Dass jedoch andere Pflanzenfresser, wie die Faultiere, sich lange aufs Ohr legen, hängt damit zusammen, dass sie über einen sicheren Unterschlupf verfügen, in den sie sich zum Schlafen zurückziehen können.
Der Mensch liegt in der Mitte
Mit der Dauer und Intensität seines Schlafs liegt der Mensch genau in der Mitte zwischen den Raubtieren und den Pflanzenfressern. Eine Fülle von Indizien spricht dafür, dass der Schlaf eine biologische Schlüsselfunktion hat. Doch bis heute ist das Rätsel nicht gelöst, welche genaue Funktion ihm die Evolution zugedacht hat.
Einige Forscher vermuten, dass der Schlaf in erster Linie Tiere dazu veranlasst, zu jenen Tageszeiten untätig zu bleiben, zu denen sie die schlechtesten Aussichten haben Nahrung zu finden und wenn das Risiko für sie am größten ist, auf ihre Feinde zu treffen. Gegen diese Erklärung spricht jedoch allein schon der Umstand, dass eine beträchtliche Zahl von Tierarten ihren Wach-Schlaf-Zyklus das ganze Jahr hindurch beibehält, obwohl sich ihre Lebensbedingungen von Jahreszeit zu Jahreszeit stark verändern.
Nicht weniger waghalsig ist die Behauptung, der Schlaf hätte die Aufgabe, das ökologische Gleichgewicht aufrechtzuerhalten. Demnach hätte die Evolution genau jenen Raubtieren einen langen Schlaf verordnet, die die Bestände ihrer Beutetiere durch Überjagung gefährden könnten. Die Schlafgewohnheiten etlicher Tierarten - angefangen mit den Zweizehen-Faultieren - stehen jedoch in krassem Widerspruch zu dieser Hypothese.
Schlafen, um zu sparen
Weiters existiert die These, dass der Schlaf ein Mechanismus zur Senkung des Energieverbrauchs ist. Diese Annahme hat einiges für sich. Allerdings spart der Mensch in seinen acht Stunden Schlaf kaum mehr als 50 Kilokalorien. Trotzdem ist für warmblütige Tiere, die reichlich Energie aufwenden müssen, um eine Körpertemperatur oberhalb der Umgebungstemperatur aufrechtzuerhalten, offenbar selbst eine geringe Senkung des Verbrauchs ein Vorteil im Überlebenskampf.
Tatsächlich schlafen etliche Säugetiere, die kalte Klimazonen bewohnen und aufgrund ihres ungünstigen Verhältnisses zwischen Körperoberfläche und Körpervolumen rasch auskühlen, ungewöhnlich lange. Die Spar-Hypothese tut sich jedoch schwer damit zu erklären, warum auch die wechselwarmen Reptilien und Amphibien oder sogar Wirbellose wie Krebse, Bienen oder Fruchtfliegen schlafen. Nicht durch herkömmlichen Schlaf reduzieren Tiere jedenfalls ihren Energieverbrauch, sondern auch durch den Winter- und den Sommerschlaf.
Die These, dass der Schlaf es dem Körper ermöglichen soll, sich zu regenerieren, stützt sich auf zahlreiche Befunde. Offenkundig beschleunigt sich während des Schlafs das Wachstum der Zellen. Verschiedene Reparaturmechanismen sind am Werk, Stoffwechselprodukte, die sich tagsüber angesammelt haben, werden abgebaut. Das Immunsystem nützt die Nachtstunden, um seine Abwehrkräfte zu verstärken. Dennoch ist nicht eindeutig bewiesen, dass Menschen, die schwere körperliche Arbeit leisten, besonders viel Schlaf benötigen.
Eine neue und plausible Lösung zur Funktion des Schlafs scheinen US-Forscher anhand von Studien aus der Tierwelt gefunden zu haben: Junge Zebrafinken lernen das Singen, indem sie sich ausgiebig mit den Gesangskünsten eines älteren Vorbildes beschäftigen. Zunächst hören sie ihm wochenlang aufmerksam zu und prägen sich die Gesangsmuster ein. Danach versuchen sie sich selbst als Sänger, wobei sie an ihren Melodien so lange feilen, bis sie mit den Vorlagen nahezu vollkommen übereinstimmen.
Wie der Psychologe Sylvan Shank und der Biologe David Margoliash von der Universität Chicago herausgefunden haben, macht der Zebrafinken-Nachwuchs beim Singenlernen die größten Fortschritte, wenn er schlummert. Die gleichen Gruppen von Neuronen, die aktiv sind, wenn die Jungvögel tagsüber ihre Gesangsübungen absolvieren, arbeiten nämlich auch nachts auf Hochtouren. "Wir glauben, dass die Vögel vom Singen träumen. Sie können anscheinend speichern, welche Nervenzellen tagsüber beim Singen aktiv sind und proben dann nachts", erklärt Margoliash.
Arbeit im Unterbewusstsein
Wie es scheint, lernen auch Menschen die entscheidenden Dinge im Schlaf. Während das Bewusstsein ausgeschaltet ist, ist das Gehirn offenbar damit beschäftigt, Informationen vom Kurzzeitgedächtnis ins Langzeitgedächtnis zu überführen, sie miteinander zu vernetzen, sie einzuordnen und zu bewerten. Außerdem treibt das Gehirn im Schlaf die Aneignung und Perfektion von Fertigkeiten voran, indem es die ihnen zu Grunde liegenden Handlungsprogramme immer wieder abspult.
Einige Befunde deuten auch darauf hin, dass im Gehirn während der Schlafphasen Wartungsarbeiten durchgeführt werden, es aufgeräumt und von nutzlosen synaptischen Verbindungen entrümpelt wird. Weil im Schlafzustand das Bewusstsein abgeschaltet ist und das Gehirn kaum von äußeren Sinnesreizen behelligt wird, wird vermutlich eine Art Offline-Verarbeitung von gespeicherten Informationen ermöglicht. Laut dem Traum- und Schlaffforscher Jonathan Winson von der Rockefeller Universität in New York kann das menschliche Gehirn deswegen mit Rechenleistungen aufwarten, zu denen es im Wachzustand nicht imstande wäre, weil es dafür eine ungeheure Menge von Ressourcen benötigen würde. Das Fazit: Der Schlaf hat nicht eine einzige Funktion, sondern mehrere, und je höher ein Lebewesen entwickelt ist, desto mehr sind es.