Jeder Mensch ist potenzielles Opfer einer Erbkrankheit. | Neue Wege für eine individuell angepasste Therapie. | Tübingen. Es kommt für unseren Gesundheitsstatus nicht völlig überraschend: Jeder Mensch weist rund 50 bis 100 genetische Abweichungen auf, die ihn zum Opfer von Erbkrankheiten machen könnten. Weiters trägt er 250 bis 300 genetische Abweichungen in sich, die eine normale Funktion der betreffenden Gene verhindern. Am überraschendsten war für die Genforscher die Erkenntnis, dass bei Töchtern Gen-Varianten auftreten, die die Eltern nicht hatten.
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Begonnen hat die Genom-Forschung mit Hugo (Humanes Genom Projekt auf internationaler Kooperationsbasis) vor etwa 15 Jahren. Ehe die renommierten Hugo-Genetiker fertig waren, schnappte ihnen der US-Amerikaner Craig Venter das erste sequenzierte Human-Genom vor der Nase weg. Es handelte sich allerdings um eine relativ grobe Sequenzierung. Nun erfolgt mit besseren Sequenziergeräten der zweiten Generation eine präzisere Aufschlüsselung der etwa 2,8 Milliarden Basenpaare des Menschen. Mit 1000 solcher genau sequenzierten Human-Genome soll es erstens möglich sein, "ein normales Genom" zu identifizieren, und zweitens von der Norm abweichende Genome beziehungsweise Genmutationen zu finden, die bestimmte Erbkrankheiten auslösen. Drittens könnten neue Wege für eine individuell angepasste Therapie ("personalisierte Medizin") entdeckt werden.
Mit den drei genannten Zielrichtungen wurde das neue internationale Projekt "1000 Genome" aus der Taufe gehoben, an dem auf deutscher Seite das Max-Planck-Institut für molekulare Genetik, Berlin, das EMBL (European Molecular Biology Laboratory), Heidelberg, sowie die Christian-Albrechts-Universität zu Kiel beteiligt sind. Es sollen 1000 verschiedene Genome sequenziert werden, um eine solide Grundlage für weitere genetische Arbeiten zu erhalten.
Bei dem nun abgeschlossenen Pilotprojekt wurde eine Karte der aufgefundenen genetischen Variationen erstellt. Insgesamt wurden 15 Millionen Basenpaare gefunden, an denen einzelne Basen aus- oder vertauscht waren. Weiter wurden eine Million Veränderungen in Form von Deletionen (Zerstörungen der DNA) sowie Insertionen (kurze, nicht programmgemäße Einschübe) gefunden. Aufgefunden wurden weiter etwa 20.000 strukturelle Varianten der DNA-Stränge. Mehr als die Hälfte der aufgefundenen Varianten war bisher unbekannt. Die neue DNA-Sequenzierungs-Datenbank umfasst jetzt mehr als 95 Prozent der heute bekannten Varianten. Bis zum Ende des Projekts sollen 99 Prozent aller möglichen Varianten in der Datenbank erfasst sein.
Im Rahmen des Pilotprojekts wurde das Genom von 179 Personen aus vier verschiedenen Populationen sequenziert. Um einen ersten, tieferen Einblick in die Vererbungsvorgänge zu erhalten, wurden außerdem die Genome von zwei Elternteilen mit dem ihrer Tochter sequenziert sowie zum Vergleich ein weiteres Elternpaar mit Tochter.
Das Ergebnis: Jeder Mensch, auch ein sogenannter erbgesunder, weist 50 bis 100 genetische Abweichungen auf, die ihn zum potenziellen Opfer einer Erbkrankheit machen können. Doch er besitzt zwei Kopien jedes Gens und wenn die zweite Kopie nicht beschädigt beziehungsweise verändert ist, bleibt er gesund. Überrascht stellten die Wissenschafter bei der Genom-Analyse von Eltern und Töchtern fest, dass bei jedem Elternpaar die jeweilige Tochter ganz neue Genvarianten aufwies, die bei keinem von ihnen vorgefunden wurden. Somit gehen die Wissenschafter davon aus, dass bei jedem Menschen rund 60 völlig neue Genmutationen auftreten.
Rasche Arbeit durch neue Sequenziergeräte
Im nächsten Programmschritt von "1000 Genomen" ist innerhalb der nächsten beiden Jahre die Sequenzierung und DNA-Speicherung von 2500 Einzelpersonen in 27 verschiedenen Populationen vorgesehen. Dies wäre so rasch nicht möglich, wenn es nicht die neuen DNA-Sequenziergeräte der zweiten Generation gäbe. Mit diesen will der Max-Planck-Forscher Hans Lehrach nun auch gleich die Genome von 1000 Krebspatienten sowie die Genome ihrer Tumore sequenzieren und analysieren. "Das von uns initiierte Treat1000-Projekt soll neue Möglichkeiten für eine personalisierte Medizin schaffen", erläutert Lehrach.