Bei der erneuerbaren Stromerzeugung kommt es auf die Systemkosten an.
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Im Zuge des deutschen Ausstiegs aus der Kernenergie wurde über die Kosten der Stromerzeugung debattiert. Häufig wird dabei aber nicht dazugesagt, welche Kosten konkret gemeint sind. Es sind (mindestens) drei Arten von Kosten der Stromerzeugung zu unterschieden: Grenz-, Stromgestehungs- und Systemkosten.
Die Grenzkosten sind jene für eine zusätzliche Kilowattstunde Strom aus einem bereits bestehenden Kraftwerk oder einer Erneuerbare-Energien-Anlage. Hier sind wetterabhängige erneuerbare Energien mit Grenzkosten nahe null konkurrenzlos günstig. Auch AKW haben üblicherweise sehr niedrige Grenzkosten. Dagegen stiegen jene von Gaskraftwerken im vergangenen Jahr wegen der Gaspreisexplosion. Wind und Sonne schicken also für eine zusätzliche Kilowattstunde Strom keine Rechnung, während bei konventionellen Kraftwerken Energieträger (etwa Kohle oder Erdgas) zugeführt werden müssen. Die Grenzkosten sind auch maßgeblich für die Reihenfolge, in der verschiedene Kraftwerkstypen Strom ins Netz einspeisen: Am Anfang dieser Merit-Order stehen stets die wetterabhängigen Erneuerbaren.
Bei den Strom-
gestehungskosten werden anfängliche Investitionskosten, fixe und variable Betriebskosten und Kapitalkosten über die Lebensdauer einer geplanten Anlage ins Verhältnis zur erzeugten Strommenge über die Laufzeit gesetzt. Es ist also die betriebswirtschaftliche Sichtweise eines Investors oder Betreibers einer Anlage. Die Stromgestehungskosten der wetterabhängigen erneuerbaren Energien sind in den vergangenen Jahren recht stetig gesunken. Ihre Wettbewerbsfähigkeit ist mit den höheren Preisen für fossile Energien weiter gestiegen.
In der öffentlichen Debatte werden häufig die Systemkosten vernachlässigt, die aus einem hohen und steigenden Anteil von wetterabhängigen Erneuerbaren im Strommarkt resultieren, etwa durch das Be-
reithalten von Reservekraftwerken oder die sinkende Kapazitätsauslastung des ge-
samten Kraftwerksparks, den erforderlichen Netzausbau, die Maßnahmen zur Netzsteuerung oder die Notwendigkeit neuer Stromspeicher. Sie sind die volkswirtschaftlich relevante Größe. Zu den Systemkosten zählt auch das Hoch- und Runterfahren thermischer Kraftwerke in Abhängigkeit von Windaufkommen oder Sonneneinstrahlung. Hierfür sind viele traditionelle Kraftwerke nur bedingt ausgelegt. Um das Problem der Auslastung zu adressieren, könnte man die gesicherte Leistung schneller reduzieren. Allerdings ist hierbei ein deutlich höheres Tempo vorerst nicht möglich, weil es nach wie vor längere Phasen gibt, in denen Windkraft und Photovoltaik nur wenig zur gesamten Stromerzeugung beitragen. Gleichzeitig wird wegen des höheren Elektrifizierungsgrades (E-Mobilität, Wärmepumpen, Industrieprozesse) erwartet, dass nicht nur die Spitzenlast, sondern auch die absolute Stromnachfrage steigen wird (um mindestens ein Fünftel).
Mit einem steigenden Anteil der wetterabhängigen erneuerbaren Energien müssen die Netzbetreiber auch häufiger Netz- und Systemsicherheitsmaßnahmen vornehmen. Die Aussage, die Erneuerbaren seien die kostengünstigste Form der Stromerzeugung, ist also beim Blick auf die Systemkosten zu pauschal.