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Adam Michnik diskutierte in Wien mit Martin Pollack über Europa und die Rolle Wladimir Putins darin.
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Wien. Polen hat ein kompliziertes Verhältnis zur Europäischen Union. Während die Bevölkerung mehrheitlich pro-europäisch eingestellt ist, legt die Regierung seit Jahren den Rückwärtsgang ein. Laut einer Umfrage der Bertelsmann-Stiftung vom Sommer 2016 im "Spiegel" stimmten 77 Prozent der Polen einem Verbleib in der EU zu. Die Regierung in Warschau hingegen blockierte den EU-Gipfel, indem es die zweite Amtszeit des EU-Ratspräsidenten Donald Tusk kategorisch ablehnte. Es herrscht ein raues Klima.
Einer, der die ultra-konservative Regierungspartei PiS unter Strippenzieher Jaroslaw Kaczynski seit Jahren bekämpft, ist Adam Michnik. Seit fast vierzig Jahren ist er ein scharfer Kritiker autoritärer Regimes und politischer Entwicklungen. Damals war es die kommunistische Regierung in Polen, wofür er sechs Jahre im Gefängnis landete. In den 80er Jahren beriet er zusammen mit anderen Intellektuellen die Widerstandsbewegung Solidarność und gründete ihr damaliges Kampfblatt, die "Gazeta Wyborcza", die größte polnische Tageszeitung mit linksliberaler Ausrichtung, deren Chefredakteur er heute ist. Für viele ist er eine Legende, für andere ein Vaterlandsverräter.
Armselige Diktatur wie Putins Russland
Denn Michnik holt immer wieder gegen Kaczynski und seine nationalistischen und EU-zerfleischenden PiS-Partei, die der polnischen Demokratie heftige Blessuren verpasst, aus. Die Bilanz sei nach Jahren des PiS-Kurses verheerend: Das Verfassungsrecht wird gebrochen, unabhängige Verfassungsgerichte de facto eliminiert, Ämter mit Personal, das auf Parteilinie hört, besetzt und regierungskritischen Medien wie der Wyborcza die Arbeit durch Anzeigenentzug erschwert. Das sagte der 70-Jährige bei seinem Besuch kürzlich in Wien, wo der ehemalige Dissident und auch einer der heftigsten Kritiker Wladimir Putins mit Martin Pollack bei der Veranstaltung "Rückkehr nach Europa und zurück" über das alte und neue Europa, seine Rolle als Beobachter politischer Entwicklungen in der EU, die Ursachen für die Spannungen in Polen und wie der russische Präsident in Europa interveniert.
"Die Regierung ändert Polen in einen Staat wie Putins Russlands, in eine armselige Diktatur", sagte Michnik in einem ZiB2-Beitrag. Nur durch zivilgesellschaftlichen Widerstand, der derzeit wieder erstarkt ist – Zigtausende gingen in den vergangenen Monaten gegen demokratieabbauende Verschärfungen auf die Straße – könne die PiS aufgehalten werden. Seit Monaten demonstrieren Zig-Tausende der Bewegung KOD (Komitee zur Verteidigung der Demokratie) für eine Rückkehr auf EU-freundliche Pfade. Knapp 800.000 Auslandspolen leben und arbeiten in Großbritannien, in Deutschland sind es etwa zwei Millionen.
"Was die PiS berührt, verwandelt sich in Scheiße", sagte Michniks gewohnt scharf mit einer sarkastischen Anspielung auf König Midas (der alles in Gold verwandelte, was er berührte) über die aktuelle Lage in Polen. An dem Gesprächsabend im Kasino am Schwarzenbergplatz in Wien merkte man rasch: In dem 70-jährigen Publizisten steckt noch sehr viel Kampfeslust und Optimismus.
Banaler Pessimismus, sagte Michnik, dürfe kein Platz eingeräumt werden, denn er führe zu Kapitulation und drifte in Passivität ab. "Der Pessimismus, den wir zulassen, ist keineswegs banal. Er besagt: Du wirst dein Ziel erreichen, du musst träumen und deinen Träumen immer wieder folgen." Als Beispiel nennt er Bücher von Autoren wie Timothy Snyder und Martin Pollack, die vor dem Jakobinischen Optimismus warnen, aber gleichzeitig ein ständiges Engagement gebieten, was zu Wahrheit und Freiheit führt. Die Jakobiner glaubten an den Kult der Vernunft und dass man ein System des Glücklichseins für alle kreieren kann. Nach dem Motto: Sei mein Bruder oder ich bringe dich um.
Dieses Schwarz-Weiß-Denken (entweder du bist meiner Meinung oder musst vernichtet werden), die Sprache und der Stil erinnerten Pollack, der in den 60ern in Polen studiert hat, beängstigend an frühere Zeiten und er verwies in diesem Zusammenhang darauf, dass Michnik die polnische Regierung vor einiger Zeit als "Anti-Kommunismus mit bolschewistischem Gesicht" bezeichnete.
Wie können Menschen, die kommunistische Propaganda auf eigener Haut erlebt haben, erneut so einem System auf den Leim gehen? In seiner Antwort holte Michnik aus und auf die unterschiedlichen Phasen des Kommunismus aus: "Die schrecklichste war der ideologische Kommunismus, die einer Religion gleich kam." Er sei von Fanatikern vertreten worden, die ehrlich daran glaubten, sie könnten eine Revolution mit grausamstem Terror bewirken. Heute herrsche Uneinigkeit darüber, wie sich die Phasen Lenin und Stalin unterschieden. Dem polnischen Zeitungsmacher zufolge gab es kaum Unterschiede in Bezug auf den Terror, hinsichtlich der geistigen Konstruktion sehr wohl. "Lenin war überzeugt, dass er die Revolution bewahrt und schützt, Stalin schützte nur seine eigenen Machtansprüche."
Spitzel kommen zu Michniks Veranstaltungen
Umgelegt auf Polen heißt das so viel: Michnik erzählt, dass er Veranstaltungen in Polen immer mit folgenden Worten beginnt: "Verehrte Gäste, ich freue mich, dass Sie so zahlreich erschienen sind. Auch jene staatlichen Beamten, die Informationen sammeln um einen Bericht über mich bei den Behörden abzugeben." Es sei offensichtlich dass sämtliche Akteure der polnischen Politik im kommunistischen System geformt wurden, von den damaligen Methoden und der Mentalität und auch ihr Verständnis für Politik.
"Vergleicht man die Sprache kommunistischer Propaganda und der damaligen Opposition mit jener der PiS und ihrer Opposition, sieht man viele Parallelen", erklärt Adam Michnik. Er erzählt von einem Vortrag in Moskau, bei dem er Kaczynskis Propaganda-Slogan "Polen hat sich von den Knien erhoben" (Polen habe mit der PiS als Regierungspartei seine Würde wiederhergestellt) zitierte und der gesamte Saal in Gelächter ausbrach. Weil Putin bereits die gleichen Worte für Russland fand.
Mit der Propaganda von Kaczynskis Team erlebe er ein Deja-vu. Das kenne er alles schon von früher. Es sei offizielle Doktrin, die befolgt werde, und die Folge sei ein intellektueller Niedergang. "Wenn ich heute die Nominierungen in der polnischen Diplomatie verfolge, kommen Menschen zum Zug, die unvernünftig, verantwortungslos und inkompetent sind. Kaczynski sagte einmal: ‚Niemand kann uns einreden, dass schwarz schwarz ist und weiß weiß ist‘. Er meinte das offenbar ernst, lachte Michnik bei dieser Anekdote.
Und in der Causa Tusk seien der Partei-Vorsitzende sein Apparat der Meinung dass der Misserfolg der Abstimmung 27:1 in Brüssel ein großer polnischer diplomatischer Akt gewesen sei. Michnik erinnere das an Stalin, der meinte, dass alles, was er sagte, gut sei. Natürlich sei ihm bewusst, dass Kaczynski nicht Stalin sei, aber er stelle eine Parodie dar. "Satiriker haben es heute in Polen sehr schwer, denn die Aussagen in der polnischen Politik übertreffen sich täglich an Satire. Der polnische Außenminister behauptete neulich, die Wiederwahl von EU-Ratspräsident Donald Tusk sei illegal gewesen. Kann eine Aussage noch mehr Satire enthalten?" Nun, für Adam Michnik offenbar nicht.
Auch die Ähnlichkeiten zu einem anderen Präsidenten, der sich immer im Recht glaubt, sind manchmal frappierend. Dazu passt ein Zitat des deutschen Philosophen Hegel und der gerne von Diktatoren angewendet wird: "Wenn die Tatsachen nicht mit der Theorie übereinstimmen, umso schlimmer für die Tatsachen."
"Bei den Kommunisten in Polen hatte ich damals immer den Eindruck, sie glauben selbst kein einziges Wort, das sie sagen. Bei Kaczynski und seinen Leuten empfinde ich das ganz anders. Sie scheinen an diese Verschwörungstheorien rund um Smolensk ernsthaft zu glauben", sagte Pollack. Michnik zufolge gebe es Analogien. Kaczynski könnte sich einer derartigen Gehirnwäsche unterzogen haben, sodass er beim Smolensk-Flugzeugabsturz von einem Anschlag fantasiert. Es sei weniger realistisch, dass seine Gefolgsleute an die Verschwörungstheorie glauben, aber wenn sie ihren Chef nicht unterstützen, stehe ihr Job auf dem Spiel.
Kirche verliert positive Rolle und starke Unterstützung
Kommen wir zu einem anderen Akteur in der Politik Polens in der Vergangenheit: Die Kirche. Ihr fiel früher eine wesentlich positivere Rolle zu als heute. Zurzeit lasse sich in Polen ein sehr paradoxes Phänomen beobachten. Viele Bischöfe blicken mit Entsetzen auf Papst Franziskus und fühlen sich wöchentlich dazu bemüßigt, seine Aussagen so lange zu analysieren bis sie daraus das Gegenteil interpretiert haben. "Der Papst bedient sich der Sprache des Zweiten Vatikanischen Konzils, als Johannes der 23. der Welt gegenüber die Arme öffnete und ein großer Teil unserer Bischöfe schlägt diese Tür wieder zu", klagt Michnik. Er beobachtet eine langsame zunehmende Säkularisierung, in der die Kirche ihre Unterstützung verliert. Sie schreit, wenn man schweigen sollte und schweigt, wenn sie etwas sagen sollte.
Es sei im Interesse der PiS, politische Konflikte als religiöse darzustellen und sie erkläre sich zur Beschützerin von Kirche und Katholizismus. Michnik sei sehr beunruhigt im Hinblick auf das Klima eines aggressiven Antiklerikalismus, den er bei der Oppositionsbewegung KOD wahrnehme: "Ich selbst polemisiere damit, weil ich es für gefährlich halte. Der katholischen Kirche in Polen droht die größte Krise seit der Reformation. Ein Blick auf die Geschichte zeigt, dass Verbindungen zwischen der katholischen Kirche und dem Nationalismus brandgefährlich sind. Das kennen wir aus Deutschland, Spanien und Österreich, wo Kardinal Innitzer den Anschluss Österreichs an Deutschland mit den Worten ‚Sieg Heil‘ begrüßte."
Im Dialog mit kirchlichen Vertretern warne er sie stets davor, nicht dem Irrglauben zu verfallen, dass Kaczynski der Kirche einen katholischen Staat polnischer Nation gründen werde. Wenn die PiS Polen komplett regiert, falle der Kirche bestenfalls das "Ministerium für Religionsangelegenheiten" zu.
Erzkonservative polnischer Pfarrer
Die Veränderungen innerhalb der polnischen Kirche bekomme auch Österreich zu spüren, erzählt Martin Pollack, in dessen Gemeinde ein polnischer Priester gleich mit seiner ersten Bestimmung in der Kirchengemeinde eine Krise mit dem Großteil der Gläubigen – den Frauen – gesorgt hat. Er hatte Mädchen in der Kirchengemeinde kurzerhand das Ministrieren verboten. So säbeln tiefkatholische Pfarrer an der Gemeinschaft – ein inakzeptables Vorgehen für Personen mit so wichtigen Funktionen in der Gemeinde. Es gebe zahlreiche solcher Geschichten aus Europa, denn viele Priester suchen im Ausland nach Beschäftigung und versuchen ihren erzkonservativen katholischen Duktus durchzuboxen, der vielerorts nicht mehr zeitgemäß ist und akzeptiert wird. Auf diese Entwicklung reagiert der Journalist mit einer Anekdote eines Prager Freundes und Katholiken: "Wir haben den Bolschewismus überlebt, wir werden auch die Invasion polnischer Priester überleben."
Nie in Ländergrenzen denken
Bei allen innenpolitischen Problemen hatte Adam Michnik nie den Blick nach außen verloren, angefangen bei den Kontakten zu Vaclav Havel nach Tschechien bis in die Gegenwart in der Ukraine-Krise, als er mit der Gazeta Wyborcza die gewaltsame Krim-Annexion scharf kritisierte und "Polen zum Anwalt der Ukraine im Westen" machte, so Pollack. Dieses gute Standing Polens hielt in der Ukraine jedoch nicht lange und die Verhältnisse hätten sich seit der neuen Regierung wieder massiv verschlechtert. In beiden Staaten schaukeln sich ethnische Konflikte hoch, polnische Behörden werden in der Ukraine beschossen, ukrainische Friedhöfe in Polen geschändet und gegenseitige Einreiseverbote verhängt.
Wohin führt das? Michnik war überzeugt davon, dass man nicht in Landesgrenzen denken dürfe und hatte deshalb immer intensive Verbindungen nach Tschechien, in die Slowakei, nach Litauen und in die Ukraine. Der Antikommunismus, hinter dem er grundsätzlich stehe, habe immer mehrere Gesichter: Einerseits traditionell-konservativ und nationalistisch, andererseits demokratisch, aufklärerisch und pro-europäisch. Ende der Neunziger Jahre überwog in Polen das zweite Gesicht: demokratischer Parlamentarismus, nach Westen gerichtet, keine Zensur, offene Grenzen und eine moderne Gesellschaft. Heute dominiert im Land ein Systemwandel, den Kaczynski "kulturelle Konterrevolution" nennt.
Der "polnische Nationalismus" oder – wie ihn Michnik nennt – der "nationale Egoismus" schränke den eigenen Horizont ein und man höre auf, sich Gedanken darüber zu machen, was in Europa außerhalb der eigenen Staatsgrenzen passiere. Zu den großen Errungenschaften der polnischen Transformation zählte der Aufbau sehr guter Beziehungen zu Nachbarn, die der Apparat rund um Kaczynski in den letzten zwei Jahren systematisch zerstört hat.
Michnik wird schließlich ganz deutlich: "Dass Jaroslaw Kaczynski die ukrainisch-polnischen Verhältnisse derart verschlechtert, ist ein Geschenk an Wladimir Putin." Da er dahinter weder Großherzigkeit oder Freigiebigkeit vermutet, "kann ich diesen Parteichef und genialen Strategen, einzig mit Napoleon, Talleyrand und Metternich vergleichbar, einen großen Dummkopf nennen", spottet der 70-Jährige. In Gesprächen mit dem russischen Oppositionsanführer Alexej Nawalny – sein Buch "Dialoge" erschien vergangenes Jahr - kommt Adam Michnik zum Schluss, dass eine Annäherung Russland an die EU durch den gemeinsamen Feind, den Islamischen Staat, gelingen könnte. "Allerdings nicht unter Wladimir Putin, weil dieser nur noch an Russlands Zerstörung arbeitet."
Über Michniks Wien-Auftritt berichteten auch polnische Staatsmedien, die Michnik als "dummen und primitiven Menschen, der auf die Regierung spuckt" bezeichneten. Er dürfte wenig überracht gewesen sein, dass auch diesmal ein Spitzel im Publikum saß.
Der Spiegel: Bertelsmann-Umfrage
Gesprächsabend im Kasino am Schwarzenbergplatz: "Grenzgänger/Grenzdenker"