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"Wir haben einander so gehasst" heißt ein höchst bemerkenswerter TV-Film von Franck Apprédéris aus dem Jahr 2006. Er schildert die Liebesgeschichte zwischen einer jungen Französin und einem jungen Deutschen während des Zweiten Weltkrieges, die im Mai 1950 vor dem Hintergrund des Ringens um die Gründung der Montan-Union ihre turbulente Fortsetzung findet.
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Eindrücklich wird dem Nachgeborenen klar, welch ungeheurer visionärer Kraft es so kurz nach dem furchtbaren europäischen Bruderkrieg bedurfte, um dem Feind von gestern die Hand zu reichen und auch nur an die Möglichkeit zu glauben, dass eine auf gegenseitigem Vertrauen aufbauende Gemeinschaft eines Tages Realität werden könnte!
Nicht nur die überflüssigerweise zur Wahl aufgerufenen 16-Jährigen, schon zwei Generationen sind mittlerweile mit der Selbstverständlichkeit dieses befriedeten und prosperierenden Europas aufgewachsen. Kaum ein Wähler denkt wohl noch daran, was wir den Herren Schuman, Monnet, aber nicht zuletzt auch Adenauer und de Gaulle zu verdanken haben. Vor dieser humanistischen und zukunftsweisenden Kraftanstrengung aus den 1950ern kann einem angesichts der endlich zu Ende gegangenen EU-Wahlen nur die Schamesröte ins Gesicht steigen.
Was für jämmerliche innenpolitische Themen wurden hier aufbereitet, welche menschenverachtenden Parolen mussten wir über uns ergehen lassen! Was hatte denn das innenpolitische Hickhack aus der untersten Lade mit der großartigen Idee eines vereinten Europas zu tun?
Ich suche nicht nach den Schuldigen für dieses fatale Missverständnis über die Bedeutung der EU. Sie sind zweifellos unter den Politikern zu finden, denen es, bis auf sehr wenige Ausnahmen (Karas, Voggenhuber), nicht gelingt, eine ehrliche europäische Überzeugung glaubhaft zu verkörpern; wohl auch unter den Journalisten, denen billiges Gespött über bürokratische Behäbigkeiten und Absurditäten, die es zweifellos gibt, wichtiger erscheint als Aufklärung über historische Zusammenhänge; und zweifellos auch in den jeweiligen Bildungssystemen, die es verabsäumen, den Heranwachsenden zu vermitteln, auf welchen Fundamenten ihre doch sehr privilegierten Lebensumstände aufgebaut sind, welche Wurzeln ihre Kräfte aus dem Humus dieses alles in allem doch wunderbaren Kontinents saugen. Sie alle sind nun einmal, wie sie sind, und auch die EU kann nicht besser sein als die Menschen, die sie tragen und gestalten.
Sie ist ein "Work in progress" und wird zweifellos weiter wachsen, sich vertiefen und aus ihren bisherigen Fehlern lernen und neue begehen. Aber die fast systematische Ahnungslosigkeit und Indolenz, mit der das Kind mit dem Bad ausgeschüttet wird, um aus verschiedenen Schwächen im Detail auf die Unsinnigkeit des Ganzen zu schließen, ist höchst verantwortungslos.
Martin Ploderer ist Business
Developer bei Eucusa, Gesellschaft für Mitarbeiter- und
Kundenorientierung.