Schawuot ist eines der wichtigsten jüdischen Feste, doch viele Familien feiern es nicht. | Liberale Gruppen feiern eine Tora-Party.
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Wien. Die Kleinsten basteln den Berg Sinai aus Kuchenteig oder anderen Materialien, die Größeren sitzen eine Nacht lang in der Synagoge über der Tora: 50 Tage nach Pessach wird im Judentum Schawuot, das Wochenfest gefeiert. Heuer beginnt es Dienstag Abend. Man erinnert sich an den Empfang der Zehn Gebote, also der Tora. Obwohl Schawuot damit eines der wichtigsten jüdischen Feste ist, wird es in den Familien meist nur in der Orthodoxie bewusst gefeiert.
Sara Ortner unterrichtet jüdische Religion in den Volksschulklassen des Lycée in Wien. Jüdische Kinder, die diese Schule besuchen, seien "traditionell bis nicht praktizierend". Wenn man diese Kinder nach Chanukka frage, dem Lichterfest, wüssten sie Bescheid. Sie kennen Pessach und halten zumeist auch einen Seder. Sie wissen, dass man zu Rosch HaSchana, dem jüdischen Neujahrsfest, Apfel mit Honig isst und dass ihre Eltern zu Jom Kippur, dem Versöhnungstag, fasten. "Aber jedes Jahr zu Schawuot, da fällt nur wenigen etwas zu diesem Fest ein."
Die Scheidung ist erlaubt
Und dann erklärt Ortner, wie das damals war, als den Menschen die Zehn Gebote übergeben worden sind, warum man nicht morden und nicht stehlen soll. Und warum Wohltätigkeit eine wichtige Sache ist: Im Judentum gibt es hier verschiedene Stufen. Die höchste ist jene, auf der ein Wohltäter anonym spendet und nicht weiß, wer in den Genuss der Spende kommen wird. "Die Kinder lernen hier aber auch, dass man nicht immer nur Geld geben muss, sondern zum Beispiel auch Zeit."
Mit den etwas Älteren spricht die Lehrerin alle zehn Gebote durch und klärt dabei auch so manchen Irrtum auf: "Viele Kinder meinen, die Ehe nicht brechen heißt, sich nicht scheiden lassen. Dabei ist die Scheidung im Judentum ja nicht verboten. Sie ist nicht erwünscht, aber wenn man sieht, dass es gar nicht miteinander geht, ist sie eine Möglichkeit."
Bei Ortner, die selbst orthodox lebt, ist Schawuot zu Hause ein Fixpunkt des Jahreskreislaufs. Die Kinder singen hebräische Lieder, in denen die Liebe zur Tora ausgedrückt wird. Höhepunkt ist in dieser Familie aber "das milchige Buffet", das es zum Kiddusch (Segen) gibt. "Die Kinder freuen sich schon immer sehr darauf." An diesem Tag eine milchige Mahlzeit zu sich zu nehmen ist zwar nicht in der Halacha, dem jüdischen Religionsgesetz, vorgeschrieben, aber ein stark verbreiteter Brauch, betont Gemeinderabbiner Schlomo Hofmeister. "Eine Erklärung dafür ist, dass erst mit der Gabe der Tora bekannt wurde, wie man koscher schlachtet." Manche essen an diesem Tag überhaupt nur milchig, andere nehmen, da es sich ja um einen Feiertag handelt, die immer mit Fleisch begangen werden, auch eine fleischige Mahlzeit zu sich.
Die milchigen Speisen werden jedenfalls alle selbst zubereitet: auf dem Speiseplan stehen dann Palatschinken, Topfengolatschen und andere Süßspeisen. "Rezepte mit Topfen und Schlagobers werden unter den Frauen schon Wochen zuvor ausgetauscht", erzählt Ortner.
In der Synagoge werden zu Schawuot die Zehn Gebote vorgetragen und dabei stehen alle Gemeindemitglieder auf. Die Synagoge sieht dabei hübscher aus als an vielen anderen Tagen: Sie wird mit Blumen geschmückt. Auch zu Hause sorgen viele Familien für besonderen Blumenschmuck.
Zur Tradition geworden ist zudem, dass Jugendliche und Erwachsene die ganze Nacht über die Tora studieren. Gerne diskutiert man dabei über das Buch Ruth. Sie war ihrer Schwiegermutter zuliebe zum Judentum konvertiert, "hat also die Tora angenommen", sagt Ortner. Ruth war zudem die Ururgroßmutter von König David, der rund 1000 Jahre vor Christus zu Schawuot zur Welt gekommen ist und 70 Jahre später zu Schawuot gestorben ist. Die Auseinandersetzung mit der Tora dient vor allem dazu, den Bund des jüdischen Volks mit Gott jedes Jahr zu erneuern.
Das Tora-Lernen kann dabei schon auch einmal zum Event oder zur Tora-Party umfunktioniert werden: Vor allem die liberaleren Jugendorganisationen setzen hier auf eine trendige Umsetzung des Themas.
Die Herkunft fast vergessen
Der Einzelne sollte versuchen, sich in den 50 Tagen von Pessach bis Schawuot auf das Nacherleben der Offenbarung der Tora vorzubereiten, betont Rabbiner Hofmeister. In Ägypten hatten die Kinder Israels ihre Herkunft schon fast vergessen. Von den 50 Stufen der Spiritualität seien sie auf der 49. angelangt gewesen - "die 50. Stufe hätte das absolute Aus bedeutet". Der Auszug aus Ägypten sei also nötig gewesen, damit das Volk Israel überhaupt erst die Tora empfangen habe dürfen.
Wie andere jüdische Feste auch hat Schawuot allerdings mehrere Bedeutungen. So ist es auch ein Erntefest, gefeiert aus Anlass der Weizenernte in Israel. Heute sei man nicht mehr so abhängig von der Landwirtschaft wie in früheren Zeiten, sagt Ortner. Diese Bedeutung sei daher in den Hintergrund gedrängt worden. Ihren Schülern versucht die Lehrerin aber zu vermitteln, dass die Menschen Gott für alles dankbar zu sein hätten: auch dafür, dass man genügend zu essen hat. "Auch wenn man das Essen heute aus dem Tiefkühler oder dem Supermarkt holt und nicht direkt vom Feld."
An noch eine Begebenheit erinnert man sich in dieser Jahreszeit: 24.000 Schüler Rabbi Akibas, der im ersten und zweiten Jahrhundert nach Christus lebte, starben in einem Jahr zwischen Pessach und Schawuot im Zug einer Epidemie. "Damit sind diese 50 Tage auch eine Trauerzeit", so Rabbiner Hofmeister.