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Was die Welt zusammenhält

Von Eva Stanzl

Wissen
Simulation des Higgs-Boson im Teilchenbeschleuniger.

Dem Elementarteilchen gehen die Verstecke aus. | Welterklärung der Physik ist unvollständig.


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Genf/Wien. Wenn er es nicht bald findet, muss Sergio Bertolucci seine Weltsicht revidieren. Und die Physik ihre Welterklärung. Noch vor einem Monat zeigte sich der Direktor des Kernforschungszentrums Cern sicher, dass das Higgs-Boson innerhalb der kommenden zwölf Monate gefunden werden würde. Nun aber zeigt sich: Das Teilchen macht sich nichts als rar.

Das Higgs-Boson, benannt nach dem britischen Physiker Peter Higgs, ist ein Elementarteilchen, das der Materie Masse verleihen soll. Ohne es wäre das Universum wie wir es kennen kaum vorstellbar, denn es sorgt dafür, dass Galaxien, Sterne, Planeten und Menschen überhaupt existieren können. Gesehen hat das Higgs-Boson allerdings noch niemand. Vielmehr wird es seit den 1960er Jahren im Standardmodell der Physik vorhergesagt. Es ist das fehlende Element, um die Teilchen in ihrer Wechselwirkung zu beschreiben. Kann es niemand nachweisen, muss die Physik eine andere Erklärung dafür finden, was die Welt im Innersten zusammenhält.

Die Wahrscheinlichkeit steigt, dass dem so sein könnte. "Diesem schwer zu fassenden Teilchen gehen die Verstecke aus", so das Cern in einer Aussendung. Jüngste Daten des Genfer Teilchenbeschleunigers LHC schließen nämlich einen weiteren Messbereich aus, in dem das Higgs-Boson vermutet wurde. Zwischen 145 und 466 Elektronenvolt (GeV, eine Einheit der Energie) könne es mit 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit nicht existieren. Und da bei früheren Experimenten alles unter 115 GeV ausgeschlossen worden war, verbleibt nur der Bereich von 115 bis 145 GeV.

Noch vor wenigen Wochen hatten die Cern-Forscher angenommen, sie hätten Spuren des Higgs-Boson zwischen 130 und 145 GeV nachgewiesen. Die Spuren haben sich jedoch als falsch erwiesen. Eine Erklärung lieferte jüngst der Cern-Physiker Michael Doser in einem Interview: Wenn das Higgs-Teilchen existiert, wird es selbst bei sehr energiereichen Kollisionen in Teilchenbeschleunigern nur selten produziert.

Doch selbst wenn das Teilchen nicht nachgewiesen werden kann, wird sich nichts ändern an der Welt, wie wir sie kennen. Wir werden sie nur anders verstehen müssen. Denn das Standardmodell der Physik ist, wie der Name sagt, nur ein Modell aus einer Reihe von Theorien. Zwar haben sich seine Voraussagen bisher bestätigt. Jedoch gilt es als unvollständig. Ohne Higgs-Teilchen müsste es somit wohl nicht gänzlich über den Haufen geworfen, sondern bloß ergänzt werden. Etwa durch eine Theorie, die zusätzliche Dimensionen voraussetzt. Diese Dimensionen spielen zwar in der makroskopischen Welt keine Rolle. Im Bereich der mikroskopischen Teilchen sind sie jedoch - so die Theorie - sehr wichtig.