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Was eine Kindergrundsicherung bringt

Von Martina Madner

Politik
Die Spielräume von Kindern, die sozioökonomische Nachteile erleben, sind begrenzt.
© Unsplash/Annie Spratt

Die Volkshilfe präsentiert erste Ergebnisse zu ihrem Pilotprojekt zur Bekämpfung der Kinderarmut.


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Also ich bin unzufrieden, weil vielleicht könnt ich doch eher meine Wohnung verlieren, also unsere Wohnung, und davor hab ich Angst", erzählte ein zwölfjähriges Mädchen aus Wien im Erstgespräch mit Volkshilfe-Projektleiterin Judith Ranftler. Ein Dreizehnjähriger aus Kärnten sagt: "In der Schule ist es so, dass, weil ich immer so oft krank bin, ich nicht so weit mitkomme und deswegen immer nachmachen muss."

Es sind Themen, die von Armut Betroffene beschäftigen, nicht nur die Erwachsenen: "Die Kinder tragen die Sorgen der Eltern mit, bezeichnen etwa die Miete nicht bezahlen zu können als ihre Sorgen", sagt Ranftler. Es sind oft einfache Dinge, die von Armut betroffene Kinder fürs Glücklichsein bräuchten: Neben mehr Freunde zu haben, mehr Mut, um lauter zu sprechen, oder Urlaub geben die Kinder auch weniger Geldprobleme oder weniger Stress als Lösungen an. "Kinder sind da höchst pragmatisch, es sind Dinge, die den Alltag der Familien erleichtern", sagt Volkshilfe Österreich-Direktor Erich Fenninger beim Pressegespräch über die Erfahrungen nach einem Jahr Kindergrundsicherung.

Kindersicherung soll Situation spürbar verändern

Die Grundannahme des zweijährigen Modellprojekts der Volkshilfe ist, dass pro Kind rund 300 Euro für das Abdecken der Grundbedürfnisse wie Wohnen, Ernährung und Bekleidung notwendig sind, weitere 125 Euro, damit die Eltern den Kindern ein Leben in Gesundheit, mit Bildung und soziale Teilhabe, zum Beispiel auch einmal Freunde einzuladen, ins Schwimmbad zu gehen oder an einem Sport- oder Musikkurs teilzunehmen, ermöglichen können.

Je nach Einkommen erhalten 23 Kinder aus Familientypen, die besonders häufig von Armut gefährdet oder betroffen sind, wie Alleinerziehenden- oder Mehrkindfamilien, eine Aufstockung der Familienbeihilfe um 425 Euro. Die Familien werden bei dem Projekt wissenschaftlich begleitet. In Gesprächen mit den Kindern und den Eltern, wurde nach dem Projektstart im Jänner des vergangenen Jahres ergründet, wo sie die Mängel spüren - und was man machen könnte, um sie konkret zu beheben.

Das große Ziel der Volkshilfe in den zwei Jahren des vor allem über Spenden finanzierten Projekts ist es, politisch Verantwortlichen wissenschaftlich begleitet aufzuzeigen, dass Armut nicht vererbbar sein muss, sondern finanzielle Unterstützung mehr leisten kann "als nur absolute Not zu verhindern, nämlich zu verändern", sagt Fenninger.

Nach einem Jahr erzählt Ranftler nun, dass sich erste Veränderungen bei vielen Kindern bereits nach drei bis vier Monaten zeigten: "Kinder, die zu Beginn kaum kommuniziert haben, halten mehr Augenkontakt, sie sprechen mehr und schneller, trauen sich auch Wünsche zu formulieren." Man spüre schnell eine Art von Selbstermächtigung, sagt die Projektleiterin. Das sei auch an den Zitaten der Kinder bemerkbar: "Wir lachen jetzt einfach alle mehr", sagte ein 14-Jähriger aus Niederösterreich zum Beispiel und eine Neunjährige aus Tirol stellte fest: "Wir sind jetzt alle ruhiger."

Ein Erfolg, denn durch finanziellen Mangel entsteht Stress. Solche Belastung und Ausgrenzung schaden der psychischen und physischen Gesundheit, wie auch ein Mädchen selbst berichtet, sie sagte: "Immer wenn ich traurig bin, bekomme ich halt die Bauchschmerzen." - Krankheit wirke sich wiederum negativ auf das Bildungsniveau aus, sagt Ranftler. Und: "Es ist schon sehr schwer auszuhalten, mit welcher Selbstverständlichkeit Kindern das bewusst ist."

Womit die Volkshilfe zu überzeugen versucht

Vom wissenschaftlichen Team wird parallel ergründet, wie sich die finanzielle Unterstützung auf die Lebenswelt und die Gefühlslage der Kinder auswirkt. Außerdem will man aufzeigen, wie die sozioökonomischen Nachteile den Handlungsspielraum von Kindern genau begrenzen. Die Volkshilfe plant, auch ihre politischen Forderungen anhand der wissenschaftlichen Daten zu evaluieren - und gegebenenfalls zu adaptieren.

Aktuell sieht das Kindergrundsicherungsmodell 200 Euro anstelle der durchschnittlich 130 Euro Familienbeihilfe pro Monat für jedes Kind - unabhängig vom Einkommen der Eltern. Für Kinder, die in Haushalten mit einem Jahreskommen von 35.000 Euro und weniger leben, soll zunehmend mehr Geld fließen; für jene in Haushalten mit einem Jahreseinkommen von höchsten 20.000 Euro, sollen es 425 Euro sein.

Insgesamt würde die Kindergrundsicherung etwa zwei Milliarden Euro kosten, das sind rund 600 bis 700 Millionen Euro mehr als aktuell. Für Fenninger ist sie eine nachhaltige volkswirtschaftliche Investition: Kinder, die aus heutiger Sicht in Zukunft eher aus dem System Geld erhielten, würden so später vermehrt einzahlen. Und vor allem: "Es gebe um zwei Drittel weniger Kinder als heute, die von Armut betroffen wären." Heute sind es 19 Prozent, mit einer Kindergrundsicherung wären es sechs Prozent.