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Was Europa von Ta Phraya lernen könnte

Von Werner Stanzl

Gastkommentare
Werner Stanzl ist Publizist und Dokumentarfilmer.
© Barbara Stanzl

Wie man in den späten 1980er Jahren das Problem der Flüchtlinge aus Kambodscha löste.


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Zahllose Schön- und Gutgeister, die Sprachverrohung anprangern und bei kleinsten Vergehen gegen Political Correctness gleich die Rassisten- und Nazikeule schwingen, profilieren sich derzeit als die Rufschädiger der Nation. Mit verbalen Grobheiten versuchen sie, das Problem Moria zu lösen. Dabei zeichnet sich wieder einmal die "Bild"-Zeitung als Einpeitscher aus. "Werden sie nicht zum Herzlos-Kanzler, Herr Kurz", titelt das Herzlos-Blatt, das dereinst schon einen deutschen Bundespräsidenten mit Haltlosigkeiten zum Rücktritt zwingen konnte. Heimische Medien schlossen natürlich mit zustimmender Weiterverbreitung die Reihen.

Dem stillen Beobachter hingegen stellt sich die Frage, ob es wirklich nur Entweder-oder-Lösungen zu Moria geben kann. Jene Politiker, die den sogenannten Pull-Effekt realistisch einschätzen und in logischer Konsequenz eine Weiterreichung von Migranten und Flüchtlingen an das europäische Binnenland ablehnen, seien an Ta Phraya erinnert, damit sie morgens noch schuldfrei in den Spiegel schauen können.

Der damalige Handelsdelegierte für Thailand, Hubert Schwetz, wollte mich im Mai 1991 mit einem Trip nach Ta Phraya von den schrecklichen Eindrücken des Absturzes der Lauda Air in Thailand ablenken. Etwa 300 Kilometer weiter östlich in Richtung laotischer Grenze landeten wir am Grenzbalken zu einer Stadt mit dreistöckigen Häusern, befestigten Straßen und Gassen und einem Sportplatz gleich hinter der Einfahrt.

Der Chef des Ganzen, er bezeichnete sich lachend als "Bürgermeister", logierte im obersten Stockwerk eines dreistöckigen Gebäudes am Rande des Hauptplatzes. Er hielt mir entgegen: "Das, was sie als Lager bezeichnen, ist eine Stadt mit gegenwärtig 155.000 Einwohnern, alles Flüchtlinge aus Kambodscha." Verwaltet und finanziert wurde dies alles von der UN-Border-Relief- Operation (UNBRO).
Ta Phraya umfasste
5 Spitäler,
8 Ambulanzen und 38 praktische Ärzte; dazu Grundschulen mit 70.000 Schülern, sechs Highschools mit 7.000 Studenten, und mehr als 10.000 Erwachsene besuchten Fortbildungsprogramme. Und ich erfuhr: "Wir haben hier eine Art eigene Währung und sogar ein Bordell." Das reizte zur Nachfrage: "Alles nur eitel Wonne?"

Seine Antwort: "Nein, beileibe nicht. Wir haben die gleichen Probleme, auf die Sie auch in jeder beliebigen Stadt in Thailand stoßen würden: Mord, Totschlag, Rauschgifthandel, Diebstahl und Verkehrsunfälle." Vor dem Gebäude floss Wasser aus einem Bambusrohr in ein Brunnenbecken. Woher das Wasser kam? "Oh, unser ganzer Stolz. Früher haben wir Wasser mit Lkw hergekarrt. Jetzt haben wir ein eigenes Reservoir, gespeist aus tiefen Brunnen, die wir zum guten Teil selbst gebohrt haben."

Was damals in den 1980er Jahren die in sich zerstrittene Völkerfamilie der Vereinten Nationen zustande brachte, um Frauen, Kinder und Männer aus den Killing-Fields des Pol-Pot-Regimes zu rettete, das soll heute dem europäischen Konzert nicht gelingen? Übrigens: 1993 wurde das Pol-Pot-Regime in Kambodscha bezwungen. Ta Phraya wurde aufgelöst, das Gebiet ist heute ein Naturschutzpark mit Mahnmal.