Ein Schuljahr geht zu Ende. Wieder einmal wird Bilanz gezogen, wird die Pisa-Studie zitiert und ist der Streit um die Einheitsschule neu entflammt.
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Auf lernschwache Schüler wurde in den letzten Jahren großes Augenmerk gerichtet; umgekehrt wurde auch an Höchstbegabte gedacht (Sir Karl Popper-Schule).
Einer - relativ breiten - Schicht wurde aber bisher überhaupt keine Aufmerksamkeit geschenkt, nämlich all jenen, die rasch auffassen und leicht lernen und die alle Schulstufen "mit Auszeichnung" absolvieren. Diese Jugendlichen könnten sich den gesamten Lernstoff in der halben Zeit aneignen; ihre halbe Schulzeit ist daher vergeudet - zum eigenen Schaden und zum Schaden des Landes, dem sie später dienen sollen.
Klassen zu überspringen ist nicht der Weisheit letzter Schluss. Die Eingliederung in eine "falsche" Altersgruppe verstärkt nur die bei diesen Schülern ohnehin gegebene Tendenz zur Isolation. Den Stoff der ersten Universitätssemester vorzuziehen, ist auch nicht zielführend, da damit der Leerlauf nur auf später verlagert wird. Auch würde dies der breit angelegten Begabung nicht gerecht. Unsere Zeit erfordert nicht nur Spezialisten, sondern auch Integralisten, die fachübergreifend denken können.
Warum wird nicht versucht, in einer entsprechend großen AHS, die mehrere Parallelklassen führt, auf irgendeiner Schulstufe einmal eine "Begabtenklasse" einzurichten, d.h. eine Klasse mit genau demselben Lehrstoff, aber reduzierter Wochenstundenzahl? Die damit gewonnene Zeit sollte durch eine Auswahl an Freigegenständen abgedeckt werden: Weitere Fremdsprachen, Rhetorik, Musik, Theater, bildende Kunst, Foto, Film, neue Medien, handwerkliche Ausbildung, zusätzliches Sportangebot (z.B. Segeln), Tätigkeit in (karitativen) Jugendgruppen usw.
In einem ersten Versuch könnte man sich auf jene Möglichkeiten beschränken, die an der betreffenden Schule ohnehin gegeben sind; die Umsetzung dieses Modells würde demnach nicht nur keine Lehrplanänderung, sondern auch (fast) keine Mehrkosten erfordern. Der Jugendliche bliebe in seiner Altersgruppe integriert; er hätte aber zum Zeitpunkt der AHS-Matura eine ungleich breitere Ausbildung genossen und damit seine Lernjahre weit besser genutzt. Und wenn es einem Schüler dieser Klasse zu viel werden sollte, so kann er ja wieder in eine "normale" Parallelklasse wechseln.
Falls Anhänger einer "Einheitsschule" dieses Konzept als "elitär" abqualifizieren wollen: Liebe Freunde, in den "Leistungsgruppen", in die Ihr die Schüler in den Hauptgegenständen unterteilen wollt, ist dieses Modell ja bereits angedacht -allerdings unter Beibehaltung des Leerlaufs.
Gerhart Bruckmann ist wirkliches Mitglied der Akademie der Wissenschaften. Er war Professor an der Uni Wien und ÖVP-Abgeordneter.