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Was fehlt? Selbstbewusstsein

Von Reinhard Göweil

Leitartikel
Chefredakteur Reinhard Göweil.

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Der Chef der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, hat der europäischen Wirtschaft eine Robustheit konzediert, die in der Öffentlichkeit so nicht wahrgenommen wird. Wenn also Donald Trump keinen Handels- oder einen echten Krieg anfängt, hat Europa gute Chancen, die Wirtschaftsleistung heuer so zu steigern, dass auch die Arbeitslosigkeit spürbar sinkt.

Das klingt jetzt ein bisschen nach vom "Establishment" gewünschtem Optimismus, ist aber das Gegenteil davon. Denn genau das "Establishment", also der EU-Finanzministerrat und die EU-Regierungschefs beispielsweise, haben in den vergangenen Jahren die Europäische Union schlechtergeredet, als sie ist.

Da ging (und geht) es um Griechenland, um den (2019 spruchreifen) Brexit, Flüchtlinge und italienische Banken. Alles Belastungen, keine Frage, aber Belastungen war die europäische Wirtschaft auch früher ausgesetzt.

Nun stellt sich heraus, dass der Investitionsstau einfach zu groß geworden ist. Es stellt sich auch heraus, dass die EU-Länder insgesamt nicht untätig geblieben sind. Vor allem aber stellt sich heraus, dass Unternehmertum in Europa viel stärker ausgeprägt ist als gedacht. Was wurde nicht alles über bürokratische Fesseln geschrieben, die jegliche Dynamik ersticken?

Die EU wird heuer - nach jetzigen Prognosen - in etwa so stark wachsen wie die US-Wirtschaft. Auf diese Robustheit hat die Politik nie Bezug genommen und daher mitgeholfen, die Unsicherheit in der Bevölkerung zu schüren. Wer "Europa am Abgrund" predigt, wird diesen Abgrund auch irgendwann erreichen. Nun sind wirtschaftliche Risken vorhanden, keine Frage. Rosarote Brille ist ebenso wenig angesagt wie Untergangs-Prophezeiungen. Die Zuwanderung nach Europa grundsätzlich zu verteufeln ist genauso idiotisch wie sie bedingungslos zu befürworten. 2015 waren in Deutschland Migranten für 44 Prozent der Firmen-Gründungen verantwortlich, 2003 waren es 13 Prozent. Angesichts dieser Zahl wird das rechte Motto "Grenzen dicht" zur Selbstbeschädigung.

Mit Donald Trump als US-Präsident steht das bisher enge transatlantische Verhältnis vor einer Neudefinition. Europa, also die EU inklusive Schweiz, Norwegen und Balkanländern, muss sich davor nicht fürchten. Europa ist robuster als die anderen Weltregionen - nur an Selbstbewusstsein mangelt es gewaltig.