Nach Jahrzehnten als Kronprinz übernimmt er die zentrale Rolle.
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Jahrzehntelang war er Kronprinz. Und sein ganzes Erwachsenenleben lang hat er sich aufs König-Sein vorbereitet. Nun, im Alter von 73, hat der Tod seiner Mutter ihn über Nacht zum Monarchen des Vereinigten Königreichs und vierzehn weiterer Staaten rund um die Erde gemacht. Charles, der sich wie erwartet King Charles III. nennen will, steht mit einem Mal am Anfang eines Wegs, der ihm vorbestimmt war, den er aber erst jetzt begehen kann, ausgerechnet in einer Zeit "tiefer Trauer". So viele Jahre lang war er einfach der Prinz von Wales, der in der zweiten Reihe marschierende ewige Thronfolger gewesen. An diesem September-Wochenende tritt er aus dem Schatten dieser Vergangenheit.
Mit unverhohlener Neugier und spürbarer Besorgnis verfolgen Britinnen und Briten, die die Queen verehrten, den Wechsel zu ihrem ältesten Sohn. So gewöhnt waren sie an ihre Königin, nach der langen Zeit, dass sie sich nur schwer etwas anderes vorstellen können - wiewohl ihnen Charles natürlich ebenso lange vertraut war, auf seine Art.
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In der Tat dürfte der Übergang bei den Windsors Veränderungen nicht nur in Ton und Stil bedeuten. Der frisch proklamierte König hat auch, bei aller Kontinuität der Rolle, einiges an Reformen, an persönlichen Neuerungen im Sinn. Er will ein wenig anders auftreten als seine Mutter. Nicht ganz so spröde, nicht ganz so sparsam mit Äußerungen und Emotionen. "Die Firma" - wie sein Vater Philip die königliche Familie gern nannte - soll rasch weiter verschlankt, soll letztlich auf einen kleinen Kern aktiver Royals reduziert werden. Schlösser und Paläste im Land sollen für Durchschnittsbürger zugänglicher gemacht werden, nach und nach.
Neues Modell von Königtum?
Für ein bisschen mehr Kontakt, für mehr Kommunikation, würde Charles gern sorgen. Dagegen haben Royalisten grundsätzlich nichts einzuwenden - solange der neue König die Grenzen, die ihm Verfassung und allgemeine Erwartungen setzen, nicht übertritt. Dass er das tun könnte, fürchten manche seiner Landsleute offensichtlich. Sie sorgen sich, dass Charles mit seinen eigenen Ansichten nicht hinterm Berg halten kann. Die vielen leidenschaftlichen Meinungen, die er als Thronfolger über die Jahre vertreten hat, werde er wohl als König kaum plötzlich unterdrücken können, glauben sie.
Charles werde sich kaum damit zufriedengeben, "nur ein Grüß-August, nur pure Repräsentationsfigur zu sein", hat Charles’ amerikanische Biografin Catherine Mayer ihn einmal beschrieben. Schon seit langem plane er, die britische Monarchie "neu zu definieren" und "potenziell ein neues Modell von Königtum" einzuführen - eines, das ihn ein Wörtchen mitreden lässt. In der Tat hat sich Charles als Kronprinz nie gescheut, über alles Mögliche zu urteilen, während seine Mutter zu allen Zeiten um äußerste Diskretion bemüht war. Zu alternativen Heilmitteln wie zu Bildungsfragen, zu Bio-Anbau wie zu religiösen Auffassungen hat er immer ausgesprochen klare Meinungen gehabt und nie ein Geheimnis daraus gemacht.
Moderne Bauwerke, die ihm nicht gefielen, hat er zum Entsetzen ihrer Architekten als "monströse Geschwüre" bezeichnet. Und Leuten, die noch vor zehn Jahren den Klimawandel bezweifelten, warf er vor, mit der Zukunft des Planeten "rücksichtslos Roulette zu spielen". Vor kurzem erst hat er "Verständnis" gezeigt für "die Frustration" von Anti-Klimawandel-Rebellen - und seitens der grünen Bewegung Anerkennung erhalten für seine Pionierrolle auf diesem Gebiet schon vor langer Zeit.
Andere seiner Landsleute empören sich dagegen über seine - wie sie es finden - "Einmischung" in diese Dinge. Sie verspotten ihn wegen der alten Enthüllung, dass er gelegentlich mit seinen Pflanzen rede. Oder lachen geradewegs über seine neueste Empfehlung, Yoga zum Auskurieren von Covid zu nutzen.
Sorge um die Verfassung
Ernstere Folgen hat gehabt, dass er einmal unvorsichtigerweise einer Holocaust-Überlebenden anvertraute, für ihn sei Wladimir Putin "gar nicht so viel anders als Hitler". Darauf reagierte Putin frostig mit den Worten, solche Äußerungen erwarte man ja kaum "von Königen". Im Londoner Foreign Office raufte man sich die Haare ob dieser Kollision.
Dieses Jahr war zu hören, dass er den Plan der britischen Regierung zur Abschiebung unerwünschter Flüchtlinge nach Ruanda in kleiner Runde als "empörend" bezeichnet hatte. Hernach musste seine Pressestelle versichern, Charles sei "politisch völlig neutral".
Ebenso bleibt in Erinnerung, dass er jahrelang versuchte, in ausführlichen Briefen diversen Ministern seine persönliche Meinung zu aktuellen Themen darzulegen. Jene Briefe, die als "Black-Spider-Memos" bekannt wurden, sind bis heute legendär. Kritiker haben Charles dazu gratuliert, dass er nun als Staatsoberhaupt wöchentliche Audienzen mit der Regierungschefin haben wird, bei denen er versuchen könne, auf die große Politik direkt Einfluss zu nehmen.
"Eine stille Verfassungsrevolution" sei unter Charles im Gange, warnte schon vor einiger Zeit Catherine Mayer angesichts der Sturm-und-Drang-Tendenzen des Thronfolgers. Einen "royalen Aktivisten", einen blaublütigen Unruhestifter hätten die Briten in ihrer Mitte mit Charles.
Der Labour-Abgeordnete Paul Flynn prophezeite, Charles werde als König ein "meddling monarch" werden - ein Monarch, der glaube, sich permanent einmischen zu müssen, und der letztlich noch "eine Verfassungskrise auslösen" könne mit seiner Manie.
In seinem Stück "King Charles III." trieb der britische Dramatiker Mike Bartlett diese Idee schon vor sieben Jahren, zu viel allgemeiner Erheiterung, auf die Spitze. In dem Stück geht es darum, dass ein nach dem Tod seiner Mutter zum König aufgerückter Charles sich weigert, ein vom Parlament verabschiedetes, aber seiner Ansicht nach schlechtes Gesetz zu unterzeichnen - womit er glatt Unruhen und Krawalle im Lande auslöst. Und wonach er von den großen Parteien prompt zur Abdankung gezwungen wird.
Drei Jahre nach der Aufführung dieses Stückes mühte sich Charles in einem Fernsehinterview, entsprechende Ängste vor seinem "Kampagnen-Stil" auszuräumen. Selbstverständlich werde er sich als König in nichts einmischen, beteuerte er damals: "So dumm bin ich ja nun wirklich nicht. Natürlich ist mir klar, dass ich als Souverän eine ganz andere Rolle spiele. Natürlich verstehe ich, dass alles dann ganz anders funktioniert."
"Zurücklehnen und genießen"
Solange Charles wisse, wann er den Mund zu halten habe, werde er ein sehr gutes Staatsoberhaupt abgeben, ist die Überzeugung der langjährigen früheren BBC-Hofberichterstatterin Jennie Bond: "Ich war schon immer der Ansicht, dass er ein guter König sein wird. Er ist ein nachdenklicher Mensch, der seine Verantwortung sehr ernst nimmt." Nun habe er die Chance, seine frühere Frau Diana Lügen zu strafen. Diese hatte ja nach der Trennung darauf gepocht, dass Charles "für den Top-Job ungeeignet" sei.
Die Meinung teilen freilich noch immer Charles’ unerbittlichste Kritiker, wie der Autor Tom Bower. Er kreidet Charles unter anderem "Abhängigkeit von einem luxuriösen Leben", "finanzielles Missmanagement" und "entsetzliche Beziehungen zum Rest der Familie" an. Viel Kritik, auch unter Monarchisten und in der konservativen Presse, hat sich Charles in jüngsten Jahren auch wegen zwielichtiger Verbindungen zu gekrönten Häuptern insbesondere am Golf und zu Milliardären in aller Welt zugezogen, die ihn immer wieder mit Riesensummen für seine diversen karitativen Initiativen oder auch zur Restaurierung seiner Schlösser versorgt haben. Im Juni dieses Jahres gab es einen regelrechten Aufschrei, als bekannt wurde, dass Charles selbst ganze Koffer voller 500-Euro-Noten von Scheich Hamad bin Jassim, einem ehemaligen Regierungschef Katars, in Empfang genommen hat.
Von derlei Dingen wollen Royalisten jetzt lieber nichts mehr hören. Sie hoffen, dass Charles nun, als König Charles III., sich auf absolut nichts mehr einlässt, was ihn in ein schlechtes Licht rücken könnte. Dass er sich die richtigen Berater sucht, seiner Mutter nacheifert, die Windsors zusammenhält und sich aufs König-Sein konzentriert.
Letztendlich, meint Hugo Vickers, ein anderer prominenter Biograf des neuen Königs, könne sich Charles III. als "ganz unterhaltsamer" Monarch erweisen. "Kultiviert" sei er ja, und statt seinem Missionsdrang nachzugeben, könne er "große kulturelle Ereignisse" veranstalten: "Das könnte ganz lustig sein."
Vielleicht müsse ja gar nicht alles so ernst gesehen werden, hatte schon vor ein paar Jahren der Satiriker und Republikaner Will Self geschmunzelt. Da "Chucky" nun einmal beschlossen habe, neuer König zu werden, könne man sich "genauso gut zurücklehnen und die Kutschenfahrt genießen" mit ihm.