Höhere Sozialleistungen stützen die niedrigsten Einkommen. Nicht jede Steuersenkung hilft der unteren Mittelschicht.
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Aufgrund der anhaltenden Teuerung - insbesondere bei Energiekosten und Lebensmitteln - prüft die Bundesregierung in zwei Arbeitsgruppen weitere Maßnahmen. Die Vorschläge der politischen Parteien und Interessensvertretungen könnten diverser nicht sein: Weitere Geldzahlung als Teuerungsausgleich, Steuersenkungen auf Konsum oder Energie, eine Erhöhung der Sozialleistungen, gar eine Senkung der Einkommensteuer mittels Ausgleichs der Kalten Progression. Im Maßnahmenwirrwarr will jede Partei ihre Vorstellungen durchsetzen. Ein Blick in die Zahlen hilft, um einzuordnen, was Menschen wirklich gegen die Teuerung unterstützt.
Klar ist: Nicht alle Maßnahmen helfen gleich gut. Und nicht jeder Vorschlag hilft der gleichen Gruppe an Menschen. Ein wichtiges Kriterium zur Beurteilung jedes wirtschaftspolitischen Vorschlags gegen die Teuerung muss sein, dass Menschen mit niedrigen Einkommen unterstützt werden. Sie müssen jeden Euro in der Geldbörse zweimal umdrehen, höhere Rechnungen bei Strom, Gas, Heizöl, Treibstoffen, Lebensmitteln und den Mieten treffen sie besonders hart.
Sozialleistungen stützen unterste Einkommen
Was verraten uns die Zahlen? Am gezieltesten zur Unterstützung der ärmsten Haushalte wirken nachhaltige Geldtransfers, nicht Steuersenkungen. Menschen mit wenig Einkommen hilft am meisten, wenn Sozialleistungen endlich armuts- und krisenfest gemacht werden. Dafür müssten wir sie anheben und an die Teuerung anpassen - was in der Vergangenheit oft vergessen wurde.
Wir haben es während der Corona-Krise gesehen, und wir sehen es jetzt bei der Teuerung: Unser Sozialstaat ist zwar im internationalen Vergleich bewundernswert. Doch er hat definitiv Lücken und Löcher, die gestopft werden müssen. Die Bundesregierung versucht in Krisenzeiten mit Einmalzahlungen gegenzusteuern. Dieser Fleckerlteppich an Einmalzahlungen reicht jedoch im Kampf gegen die Teuerung nicht aus. Zu viele Menschen werden nicht ausreichend gegen Armut abgesichert. Fast jede dritte alleinlebende Pensionistin, sogar jeder zweite Langzeitarbeitslose in Österreich ist armutsgefährdet - und das bereits vor der rasanten Teuerung.
Die Mindestsicherung und das Arbeitslosengeld liegen momentan um rund 300 Euro und die Mindestpension (Ausgleichszulage) 190 Euro unter der Armutsgefährdungsschwelle für eine alleinstehende Person von 1.371 Euro netto im Monat. Diese Sozialleistungen über die Armutsgefährdungsschwelle anzuheben, würde rund 4 Milliarden Euro pro Jahr kosten. Eine stolze Summe, doch vergleichbar mit dem, was die Bundesregierung bisher gegen die Teuerung präsentiert hat.
Sozialleistungen sind nicht nur von vornherein zu niedrig. Sie haben auch durch die hohe Inflation deutlich an Wert verloren. Der Kaufkraftverlust von Familienbeihilfe, Studienbeihilfe, Mindestsicherung, Pflegegeld, Arbeitslosengeld und Ausgleichszulage liegt allein seit Jahresbeginn bei in Summe mehr als 36 Millionen Euro. Für Haushalte, bei denen jeder Euro zählt, ist das in Zeiten rapide steigender Preise kaum zu verkraften. Die notwendige Anpassung vieler Sozialleistungen an die Teuerung erfolgt nicht regelmäßig genug und - wenn sie erfolgt - nicht ausreichend. Von 2000 bis 2021 verlor die Familienbeihilfe etwa um 30 Prozent an Wert. Beim Pflegegeld waren es rund 28 Prozent, bei der Studienbeihilfe 20 Prozent. Um die Kaufkraft wieder auf das volle Niveau von 2000 zu heben, müsste die Familienbeihilfe um mindestens 42 Euro, das Pflegegeld um 53 Euro und die Studienbeihilfe um 184 Euro angehoben werden.
Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel senken
Nicht nur die Ärmsten im Land, auch die breite Bevölkerung spürt die steigenden Preise in der Geldbörse. Stark betroffen sind jene, die mit wenig Einkommen leben, aber gerade über den Einkommensschwellen der bisherigen Hilfsmaßnahmen der Bundesregierung liegen. Weh tut die Teuerung der unteren Mittelschicht, manchmal selbst noch dem Durchschnittsverdiener. Die Kaufkraft der ausbezahlten Löhne wird im heurigen Jahr wohl um 2,5 Prozent sinken - die größten Verluste seit Jahrzehnten. Für eine Unterstützung der Massenkaufkraft eignen sich eine Senkung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel und eine Anhebung der Steuerabsetzbeträge samt Sozialversicherungsrückerstattung, weil sie die eingesetzten Budgetmittel relativ gleichmäßig über die Bevölkerung verteilen.
Ein Aussetzen der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel würde rund 1,4 Millionen Euro jährlich kosten. Relativ zu ihrem Einkommen würden Haushalte in der unteren Einkommenshälfte stärker profitieren, obwohl die Maßnahme auch Haushalte im oberen Einkommensbereich zugutekämen. Noch zielsicherer wäre daher eine Einschränkung auf Grundnahrungsmittel. Oder überhaupt Höchstpreise - wie in Österreich bis 1987 gesetzlich festgelegt - für Brot und andere überlebensnotwendige Lebensmittel.
Voraussetzung für die Wirksamkeit der Steuersenkung auf Lebensmittel ist, dass die Handelsketten sie an die Konsumenten weitergeben. Ein staatliches Monitoring, ob dies auch tatsächlich geschieht, wäre dafür nötig. Jüngste Forschungsergebnisse aus Deutschland zeigen, dass die dortige Mehrwertsteuersenkung auf Lebensmittel während der Corona-Pandemie fast vollständig über niedrigere Preise zu den Endverbrauchern gelangt sind.
Weniger treffsicher ist die Senkung der Mehrwertsteuer auf Treibstoffe. Die Hälfte der Menschen in Österreich mit wenig Einkommen im Land besitzt gar kein Auto. In den wohlhabenderen Gegenden kommen zwei Autos und ein hoher Spritverbrauch pro Haushalt dagegen umso häufiger vor. Abgesehen davon, dass es auch ökologisch ein falsches Signal wäre in Zeiten einer sich beschleunigenden Klimakrise. Mit der Erhöhung des Pendlerpauschales hilft die Bundesregierung den Arbeitspendlern ohne Zugang zu den Öffis ohnehin schon finanziell.
Manch anderer wiederum fordert eine Senkung der Sozialversicherungsbeiträge oder der Lohnsteuer, damit den Menschen "mehr netto vom brutto" bleibe. Der Grundsatz ist löblich, doch versagt die Idee, wenn insbesondere der ärmeren Hälfte der Menschen im Land gegen die Teuerung geholfen werden soll. Denn nicht jede arme Person arbeitet oder verdient in ihrem Job genug, um tatsächlich eine höhere Summe an Lohnsteuer zu bezahlen. Auch eine durchgehende prozentuelle Senkung der Sozialversicherungsbeiträge hilft in absoluten Zahlen Menschen mit hohen Einkommen deutlich mehr, während sie die Krankenkassen gleichzeitig vor Geldprobleme stellt. Etwas besser, weil gleichmäßiger verteilt, wäre noch eine Erhöhung der Absetzbeträge.
Abschaffung der Kalten Progression ungeeignet
Gänzlich ungeeignet als Maßnahme gegen die Teuerung ist hingegen die Abschaffung der Kalten Progression. Sie unterstützt Haushalte der oberen Mittelschicht und der Oberschicht am meisten. Finanzielle Unterstützung, die diese Haushalte nicht brauchen. Das obere Drittel im Land kann mit der Teuerung umgehen. Es verdient genug, um sie relativ bequem selbst abfedern zu können. Ein genereller Ausgleich für die entstandene Kalte Progression entschärft hingegen die Lage für die Ärmsten der Bevölkerung kaum: Nimmt man als Beispiel die Inflation des Jahres 2021, so erhalten Menschen mit niedrigen Einkommen im Schnitt nur rund 36 Euro im Jahr. Im Vergleich: Bei den 20 Prozent der Haushalte mit den Top-Einkommen würden 252 Euro landen. Für jeden Euro, der bei den ärmsten Haushalten ankommt, werden also mehr als 7 Euro an die reichsten Haushalte verteilt. Reichlich ineffizient.
Um ein umfassenderes Teuerungsmanagement als bisher wird die Bundesregierung nicht herumkommen. Nicht alles lässt sich mit Steuersenkungen oder Sozialleistungen ausgleichen. Wenn Energiekonzerne den Krieg in der Ukraine nutzen, um Preise zu erhöhen und rekordhohe Übergewinne einzufahren. Wenn Vermieter sich mit Mieterhöhungen entlang der stark steigenden Preise um ihren Teil der Kaufkraftverlustes drücken. Wenn die Lebensmittelpreise wegen eines Krieges stark steigen. Dann muss die Bundesregierung den Mut finden, mittels Preiskontrollen stärker in den Markt einzugreifen, um die Kaufkraft der Menschen im Land direkt zu stützen.