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Was gegen Kanzler Kurz vorliegt

Von Daniel Bischof

Bis zu zehn Jahre Haft drohen Kurz bei einer Verurteilung. Ermittler stützen sich auf Chats, Kurz dementiert alle Vorwürfe.


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Verglichen mit dem Vorwurf der falschen Beweisaussage vor dem Ibiza-U-Ausschuss, sind die neuen Anschuldigungen gegen Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) ein anderes Kaliber. Sie reichen tief ins Korruptionsstrafrecht und sind auch mit einem deutlich höheren Strafrahmen bedroht: Ein bis zehn Jahre Haft drohen Kurz bei einer Verurteilung. Beim Verfahren wegen falscher Beweisaussage sind es hingegen bis zu drei Jahre Haft. Ein Überblick.

Was wird Kanzler Kurz vorgeworfen?

Im Jahr 2016 galt der damalige Außenminister Kurz bereits seit längerem als die Zukunftshoffnung der ÖVP. Parteichef war damals noch Reinhold Mitterlehner. Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) wirft Kurz vor, strafbare Handlungen gesetzt zu haben, um zunächst seine Chancen zur Übernahme der ÖVP und danach seine politische Position zu verbessern.

Dazu soll Kurz mit Vertrauten, den Brüdern Wolfgang und Helmuth Fellner und Meinungsforscherinnen ein illegales System hochgezogen haben. Die Sicht der WKStA: Kurz habe als Außenminister keinen Zugang zum Geld der ÖVP gehabt und sich keine für ihn günstigen Umfragen besorgen können. Kurz sei daher einen Umweg gegangen: Mit Steuergeldern soll das Finanzressort Umfragen gekauft haben. Die beauftragte Meinungsforscherin B. soll ihre Honorare mittels falscher Rechnungen an das Finanzressort gestellt haben. Statt der Umfragen für Kurz soll sie - nie erstellte - Studien verrechnet haben.

Diese Umfragen sollen im Rahmen eines Deals zwischen Kurz, seinen Vertrauten und den Fellner-Brüdern in der Tageszeitung "Österreich" veröffentlicht worden sein. Für die Umfragen samt einer allgemein wohlwollenden Berichterstattung gegenüber Kurz soll das Finanzressort Inserate in Höhe von 800.000 Euro in "Österreich" geschaltet haben.

Welche Delikte stehen im Raum?

Kurz werden die Delikte der Untreue und Bestechlichkeit vorgeworfen. Da die WKStA von einer hohen Schadenssumme ausgeht, drohen Kurz bis zu zehn Jahre Haft. Kurz soll ein Bestimmungstäter sein, also andere Personen zu den Straftaten angestiftet haben. Gemäß dem Strafgesetzbuch kann nicht nur der unmittelbare Täter bestraft werden, sondern auch "jeder, der einen dazu bestimmt", die strafbare Handlung auszuführen "oder der sonst zu ihrer Ausführung beiträgt".

Hier kommt Thomas Schmid ins Spiel. Er war zum vorgeworfenen Tatzeitpunkt Generalsekretär im Finanzministerium. Er habe "gute Kontakte zu den Brüdern Fellner" gepflegt und "konnte zusätzlich über die finanziellen Mittel des BMF verfügen", schreibt die WKStA in ihrer Anordnung zur Hausdurchsuchung. Gemeinsam mit anderen Kurz-Vertrauten soll er die Vereinbarung mit den Fellner-Brüdern orchestriert und das System rund um die Umfragen im Finanzressort etabliert haben, so der Vorwurf.

Angestiftet wurde er dazu laut den Korruptionsjägern von Kurz. Dieser habe Schmid mit der Organisation und den Verhandlungen mit Fellner beauftragt und auf "die gesteuerte Veröffentlichung" der Umfragen hingewirkt.

Weiters soll Kurz die damalige Familienministerin Sophie Karmasin (ÖVP) zur "Teilnahme an Tathandlungen überredet" haben. Karmasin war vor ihrem Amtsantritt Meinungsforscherin und machte etwa Umfragen für die Fellner-Gruppe. Sie pflegte auch ein enges berufliches Verhältnis zu jener Marktforscherin, die später die Umfragen für das Finanzressort erstellte. Im Dezember 2013 trat Karmasin ihr Amt an. Mit Parteichef Mitterlehner soll sie sich aber mit der Zeit überworfen haben. Kurz soll auf sie eingewirkt haben, damit sie dabei half, den mutmaßlichen Deal mit der Fellner-Gruppe abzuwickeln.

Worauf stützt die WKStA ihre Vorwürfe?

Wie bei anderen Ermittlungen spielt Thomas Schmid eine entscheidende Rolle. Bei ihm wurde 2019 in der Causa Casinos eine Razzia durchgeführt. Aus den dabei sichergestellten Handychats zitiert die WKStA in ihrer Anordnung zur Hausdurchsuchung seitenweise und begründet damit Kurz’ Involvierung in die vorgeworfenen Tathandlungen.

Zwei Beispiele: Im März 2016 schreibt Schmid an Kurz: "Gute News bei der Umfrage Front. Sophie (Karmasin, Anm.) weiß ich nicht, ob ich überreden konnte." Kurz antwortet: "Kann ich mit ihr reden." Schmid berichtet über Karmasins Unmut über Mitterlehner und schreibt: "Wenn du ihr sagst, dass jetzt die Welt nicht untergeht. Und das Mitterlehner eben ein Arsch war usw. Hilft das sicher." Kurz antwortet: "Passt mache ich."

Nachdem in "Österreich" eine für Mitterlehner desaströse Umfrage erscheint, schreibt Schmid: "So weit wie wir bin ich echt noch nicht gegangen. Geniales Investment. Und Fellner ist ein Kapitalist. Wer zahlt, schafft an. Ich liebe das." Kurz repliziert: "Danke für Österreich heute." Schmid: "Immer zu Deinen Diensten :-))"

Durch SMS wie diese sieht die WKStA den dringenden Tatverdacht gegen Kurz erbracht. Dass eine Person gegen Kurz ausgesagt hat oder ein Geständnis abgelegt hat, ist bisher nicht bekannt.

Wie verteidigt sich der Bundeskanzler?

So wie die Fellner-Brüder weist Kurz die Vorwürfe zurück. In der "ZiB 2" verwies er am Mittwochabend darauf, dass er damals weder ÖVP-Obmann noch Bundeskanzler gewesen ist.

Es gebe keinen Hinweis darauf, dass er in die Inseratenvergabe des Finanzressorts 2016 involviert gewesen sei, so Kurz. Dass er Scheinrechnungen für Umfragen gestellt und erhalten habe oder sonst irgendwie involviert sein könnte, könne er "zu 1.000 Prozent ausschließen".

"Überhaupt kein Indiz" gebe es auch für den Vorwurf, dass er im Jahr 2016 Umfragen gesteuert hätte. Es gebe keine SMS von ihm mit einem Auftrag oder einem Ersuchen, so etwas zu tun. Die Vorwürfe würden sich auch gegen Mitarbeiter des Finanzministeriums richten, er selbst sei dafür nicht verantwortlich. Dass er in Chats über Meinungsumfragen informiert wurde, sei "strafrechtlich nicht relevant".