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Was geht uns unser Unsinn von gestern an?

Von Christian Ortner

Gastkommentare

Die Entsorgung der Willkommenskultur fördert nun klar zutage, welche Fehler Österreichs politische Klasse 2015 begangen hat.


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Wenn Ungarn seine EU-Außengrenze zu Serbien mit einem Zaun gegen illegale Zuwanderung sichert, "sind wir Österreicher diejenigen, die davon profitieren", räumte der Bundeskanzler in der jüngsten Nationalratssitzung ein. Stimmt. Und ist doch insofern etwas überraschend, als der ungarische Premier Viktor Orban dafür, dass er sich an die im Schengen-Vertrag vereinbarte Sicherung der EU-Außengrenzen hielt, nicht zuletzt von Teilen der österreichischen Sozialdemokratie beschimpft wurde. Christian Kerns Amtsvorgänger war sich sogar nicht zu blöd, Orban für das Verbrechen, Migranten in Zügen zu transportieren, in NS-Nähe zu rücken.

Keine zwölf Monate später unterstützen österreichische Exekutivbeamte ihre ungarischen Kollegen dabei, den angeblich so menschenverachtenden Grenzzaun zu sichern. Da stellt sich irgendwie die simple Frage: Warum nicht gleich? Warum brauchten Österreichs Eliten fast ein Jahr, um langsam und eher widerwillig die Realität zu akzeptieren?

Die Frage muss sich nicht nur der damalige Kanzler gefallen lassen. Wenn etwa heute völlig klar ist, dass unter den Migranten, die unkontrolliert über die Balkanroute gen Österreich und Deutschland zogen, auch eine nicht irrelevante Zahl von Terroristen war - drei wurden erst dieser Tage in Deutschland verhaftet, andere begingen blutige Anschläge in Frankreich und Deutschland -, wurde noch vor einem Jahr jeder, der das prognostizierte, als Rechtsradikaler denunziert. Selbst als ein hoher libanesischer Politiker 2015 davor warnte, wiegelte der oberste Terrorbekämpfer der Republik, Peter Gridling, ab: "Ich weiß nicht, worauf der libanesische Politiker die Annahme stützt", sagte er zum "Kurier". Es sei eher unwahrscheinlich, dass sich Terroristen just unter Menschen mischen, die vor dem IS flüchten. Und laut Innenministerium sei es für den IS unökonomisch, Terroristen auf Flüchtlingsrouten nach Westeuropa zu bringen. Eine glatte Fehleinschätzung, wie wir heute wissen. Ob die obersten Verantwortlichen im Kampf gegen den Terror es nicht besser wussten oder einfach die Unwahrheit sagten, um die offizielle Willkommenspolitik nicht zu unterminieren, wissen wir nicht. Beruhigend ist weder das eine noch das andere.

Bemerkenswert war auch das Wendemanöver der obersten katholischen Autorität im Land. Begab sich Wiens Erzbischof noch im Herbst 2015 höchstpersönlich zum Westbahnhof, um zu mahnen, Österreich habe ja seinerzeit auch hunderttausende Ungarn und Tschechen aufgenommen, korrigierte er sich unlängst: "Diese Flüchtlinge waren alle Europäer. Jetzt haben wir es mit einer Zuwanderung aus Nahost und Afrika zu tun, da ist die kulturelle und religiöse Differenz sicher ein Faktor, der Sorge bereitet." Das konnte der Kardinal, ein Mann von hoher Bildung, nicht auch schon vor einem Jahr so sehen? Vergangenen Sonntag legte er sogar nach: "Wird es jetzt einen dritten islamischen Versuch der Eroberung Europas geben? Viele Muslime wünschen sich das." Sehr willkommenskulturell klingt das nicht mehr wirklich.

Gewiss: Auch die Eliten haben ein Recht darauf, klüger zu werden. Dass dies nicht etwas schneller ging, hat der Republik freilich einigen Schaden zugefügt, den die Regierung in der jüngsten "Notstandsverordnung" ja präzise auflistet.