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"Was Gott will, das kriege ich!"

Von Aleksandar Prvulovic

Politik
Die Hälfte der obdachlosen EU-Ausländer in der Notschlafstelle "VinziPort" sind Polen. Sie sind zwischen 20 und 60 Jahre alt. Foto: Bertotti

300 Wiener Obdachlose sind EU-Ausländer, ein Großteil von ihnen Polen. | Alkoholprobleme und der Verlust von Arbeit und Familie stehen meist am Beginn ihres Abstiegs. | Ein Arbeitsstrich in der Nähe der Lugner City ist Treffpunkt für viele arbeitslose Polen. | Wien. "Österreich ist ein gutes Land, aber ich will zurück nach Polen", erklärt der 56 Jahre alte Marjan. Er hofft auf eine Pension ab 2011, da er wegen schwerer körperlicher Beschwerden arbeitsunfähig sei. 1988 kam er nach Wien und hat 14 Jahre lang bei einer Baufirma gearbeitet. Von heute auf morgen wurden er und drei Jugoslawen durch jüngere Arbeiter ersetzt. "Für mich war das eine Katastrophe." Heute ist Marjan Alkoholiker. "Meine Familie ist tot für mich! Wir hatten eine große Wohnung, ein Auto und eine Garage. Als mich meine Frau verlassen hat, habe ich ihr gesagt, sie soll alles nehmen." Das war vor zehn Jahren.


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Marjan übernachtet in Eisenbahnwaggons - meistens sind sie zu viert. Als Schlafstätte ist ihm der Zug lieber als "VinziPort", die einzige Wiener Notschlafstelle für obdachlose EU-Bürger ohne österreichischen Pass. "Dort sind 70 Personen in einem Raum. Es sind einfach zu viele Leute und es stinkt mir zu viel", erklärt Marjan. "Im Waggon muss ich nicht um sechs Uhr Früh aufstehen!"

Hilfe kommt von christlichen Einrichtungen und Spitälern

Für einige von Marjans Landsleuten ist das von der Vinzenzgemeinschaft Sankt Benedikt betreute "VinziPort" aber sehr wertvoll. Rund die Hälfte der Gäste hier sind Polen. Wie alle Obdachlose aus EU-Ländern, die keine Österreicher sind, haben sie keinen Anspruch auf Sozialhilfe und somit auch keinen Zutritt zu Notschlafstellen. "VinziPort" hat diese Lücke im Wiener Sozialnetz nun geschlossen.

Von 18 bis 7 Uhr erhalten die Gäste hier eine Unterkunft, Essen und Kaffee, danach müssen sie "VinziPort" verlassen. Viele gehen dann bei den Barmherzigen Schwestern in der Gumpendorfer Straße frühstücken, erzählt "VinziPort"-Obmann Jerzy Kiziuk. Essen gäbe es auch bei den Schwestern der Mutter Theresa um 15 Uhr sowie beim Tageszentrum Josi bei der U6-Station Josefstädter Straße. Wie im "VinziPort" könnten sich auch hier die Menschen duschen und ihre Wäsche waschen. "Medizinische Behandlung kriegen sie bei den Barmherzigen Brüdern sowie im Elisabeth-Krankenhaus. So wird das Minimum erhalten", berichtet Kiziuk.

Manche polnischstämmigen Gäste im "VinziPort" leben schon seit Jahren in Wien, andere erst seit ein paar Monaten. Es sind Männer ganz unterschiedlichen Alters. "Wenn du Geld hast, hast du alles", erklärt Henrik. Der kleine, kräftige Mann mit dem sympathischen Lächeln und dem traurigen Blick ist 53 Jahre alt, lebt seit 17 Jahren in Wien und seit sieben Jahren auf der Straße.

Probleme mit der Frau und mit dem Alkohol hätten ihn damals nach Wien geholt, wo er nochmals eine Familie gegründet hat. Sie hatten eine Wohnung im 18. Wiener Gemeindebezirk. Die gemeinsame Tochter ist inzwischen fünf Jahre alt. "Meine Ex-Frau lebt jetzt mit einem Österreicher zusammen. Wir sind schon lange getrennt", erklärt Henrik. Wieder hätten Alkohol und das Geld alles kaputtgemacht. Was zuerst da war, die Alkohol- oder die Geldprobleme, wisse er nicht mehr. Eines dafür umso mehr: "Das bisschen, das ich verdiene, das teile ich." Henrik arbeitet hin und wieder auf dem Bau - illegal. Baustellen sind auch sein Unterschlupf, wenn er einmal nicht in einer Notschlafstelle übernachten kann.

Eigentlich hat Henrik Hausverbot im "VinziPort", weil er am Vortag das Alkoholverbot ignoriert hat. Er ist trotzdem da. Er meint, er verstehe sich einfach nicht so gut mit dem Obmann des Vereins und habe deshalb immer wieder Probleme. Henrik ergänzt: "Ich bin aber ein guter Mensch. Deshalb sind die Menschen auch gut zu mir." Gestern Abend hätten sich alle für ihn eingesetzt.

"Der Arbeitgeber kommt mit dem Auto vorbei, fragt, wer was kann, und sagt, wie viel er zahlt. Dann melden sich ein paar Personen und fahren mit ihm mit", beschreibt der 27-jährige Gregor den Ablauf am Arbeitsstrich im 16. Wiener Gemeindebezirk - in unmittelbarer Nähe zur Lugner City und einer Polizeistation. Laut Gregor versammeln sich hier viele Polen. Es sei meist ihre einzige Möglichkeit, einen Job zu kriegen. Gregor lebt seit 2006 in Wien. "In meiner Vorstellung war Österreich einfach reich und schön. Da ich recht gut Deutsch spreche, dachte ich, dass ist der beste Platz für mich, hier habe ich gute Chancen. Wien war mein Traum."

Religiöse Pflichten haben Vorrang vor Jobchancen

Vor drei Jahren bekam Gregor eine Chance in der Steiermark, sein Leben in Ordnung zu bringen. "Die Chance habe ich aber aus religiösen Gründen verloren", meint er. Sein Arbeitgeber war Adventist. "Er wollte, dass ich sonntags arbeite", erzählt der gläubige Katholik. Die protestantische Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten betrachtet den Samstag, nicht den Sonntag als Ruhetag. Gregor kehrte daraufhin nach Wien zurück und arbeitet seitdem immer wieder illegal als Hilfsarbeiter.

Manchmal verdient er für drei Stunden bis zu 30 Euro, dann wieder nur sechs Euro pro Stunde. Nach Schlesien will er nicht zurück. "Dort wird es immer schwieriger sein als hier. Und die Zukunft muss ich sowieso bei Gott lassen. Was Gott will, das kriege ich!" Ob er seine Familie vermisse - diese Frage will er nicht mehr antworten.

"Wenn du kein Geld hast, kriegst du höchstens einen Arschtritt!", erklärt Jan, den seine Familie verlassen hat. Er ist 25 Jahre alt und hat in Polen bei deutschen Firmen wie BMW und Audi ganz gut verdient. Mit der Krise ging sein Job verloren. Jan hat zwei Kinder. "Ich habe alles für meine Frau und ihre Familie bezahlt. Als ich kein Geld mehr hatte, haben sie mich einfach weggeschickt." Seit drei Wochen lebt der gelernte Tischler in Wien, zurzeit übernachtet er im "VinziPort". "Ich würde alles machen, sogar Putzen, nur um nicht zu hungern", betont Jan und ergänzt, dass er nur legaler Arbeit nachgehen will.

Laut Obmann Kiziuk bleiben die jungen Männer meist nicht lange im "VinziPort". "Die meisten bekommen keine Arbeit und kriegen dann den Tipp, im VinziPort übernachten zu können. Sie bleiben maximal einen Monat und fahren dann zurück oder weiter", erzählt Kiziuk, der selbst vor 19 Jahren aus Polen nach Wien gekommen ist um Arbeit zu finden - wie die meisten seiner Gäste.