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Mit seinem Gedicht hat der Literat just jene Diskurse verunmöglicht, die er anregen wollte, und so der Sache des Ausgleichs einen Bärendienst erwiesen.
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Günter Grass hat getrommelt und eine Kakophonie von Kommentaren ausgelöst. Themen mit Juden ziehen gut. Es wäre in der Tat müßig, über die Qualität seines Gedichts weiter zu räsonieren, wären da nicht zwei Aspekte, die in der lautstarken Dissonanz unterzugehen drohen.
Einige Tage, ehe sich der gestrige Dichter zu Wort meldete, legten zwei heutige Menschen ihren Weg zum Ausgleich zwischen Israel und dem Iran vor. Der Designer Ronny Edri und seine Frau Michal Tamir aus Tel Aviv richteten eine Plakatbotschaft an das iranische Volk: "Iranians we love you. We will never bomb your country." Die Aktion verbreitete sich rasant über Facebook und Youtube. Bald schon kamen erste Rückmeldungen aus dem Iran. Junge Leute schrieben zurück: "Israelis, wir wollen keine Atombombe, wir wollen Frieden und Demokratie. Wir sind eure Freunde."
Menschen von heute sehen Staaten und ihre Völker nicht als geschlossene, amorphe Einheiten gleichgeschalteter Menschen, sondern erkennen andere als denkende, mündige, gleichwertige Individuen an. Eine solche Betrachtungsweise ermöglicht auch neue Formen des Diskurses, die sich von der Oberlehrer-Strategie Grass’ unterscheiden, der im iranischen Volk nur eine dumme Masse sieht, das sich von einem "Maulhelden" unterjochen lässt, und die Israelis taxfrei zu mordlüsternen Banditen macht.
Der Weg des Vertrauensaufbaus und der Entwicklung neuer Strategien ist langwierig und schwierig. Aber er wirkt anders als Vorgangsweisen, die spalten, vereinfachen und Konflikte verstärken. Grass behauptet, positiv wirken zu wollen, und erreicht genau das Gegenteil. Die dumme Reaktion des offiziellen Israel, ein Einreiseverbot zu verhängen, mag dafür als Beweis dienen.
Noch eine weitere Diskussion wird verhindert, wenn sie in einen solch falschen Zusammenhang gestellt wird. Grass will seine Worte als tapferen Kampf gegen einen "Zwang, der Strafe in Aussicht stellt", verstanden wissen. Damit bezieht er sich auf den oft schnell dahingesagten, gedankenlosen Vorwurf des Antisemitismus, auch dort, wo Israel oder Juden maßvoll und sachlich kritisiert werden.
Hier wäre tatsächlich ein Diskurs angebracht, der darauf aufmerksam macht, dass Kritik zulässig ist, wenn es die Sache erfordert und sie auf anständige Art und Weise geschieht. Und es müsste klargestellt werden, dass der falsche Einsatz des Arguments, jemand sei antisemitisch, diesen Vorwurf beliebig und unwirksam macht. Doch auch bei diesem Thema hat Grass das genaue Gegenteil dessen erreicht, was er als Ziel angegeben hat. Sein Gedicht schafft nur unversöhnliches Gegeneinander und eine Verhärtung von Positionen. Zu einer fruchtbaren Diskussion wird es nicht führen.
Als seinerzeit bekannt wurde, dass Günter Grass als Jugendlicher bei der SS diente, meinte er zu seiner Verteidigung, man möge ihn an seinem späteren Werk und nicht an seiner Jugendsünde beurteilen. Leicht macht der große Dichter es uns nicht, ihn weiterhin zu bewundern. Denn laut und blechern klingt seine Trommel - zu laut, um Zwischentöne zuzulassen, zu blechern, um eine neue Qualität zu schaffen.