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Was haben Brexit und Hitchcock gemeinsam?

Von Isolde Charim

Gastkommentare
Isolde Charim ist Philosophin und Publizistin und arbeitet als wissenschaftliche Kuratorin am Kreisky Forum in Wien.
© Daniel Novotny

Zur Vermengung von Realität und Phantasma.


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Die Brexit-Abstimmung hat sich als großer Knall erwiesen. Die Auswirkungen sind noch unklar. Klar ist nur, dass sich die EU jetzt neu formieren muss. Sie muss die Signale verstehen. Denn das, was da aufgebrochen ist, ist ja keine britische Spezialität. Es ist vielmehr die Symptomatik, die man in allen EU-Ländern findet. Was also sind die Signale?

Die Briten sind ihren Phantasmen gefolgt. Sie werden in der Realität ankommen. Die EU aber muss sich weiter damit befassen. Damit, dass es reale Bedürfnisse und Beweggründe gibt. Und damit, dass diese sich zunehmend als Phantasmen artikulieren - als Wunschbilder eines Auswegs aus der Bedrängnis. Denn das war keine Abstimmung über die Demokratiedefizite der EU-Kommission oder den Brüsseler Kontrollwahn.

Da ging es zum einen um die Angst vor Einwanderung. Es ist nicht klar, was dabei reales Problem und was Illusion ist. Die Fremden werden nicht nur in Britannien als Bedrohung erlebt - eine Bedrohung, die aus einer ökonomisch-kulturellen Aufladung, also einer Vermischung der beiden Problemlagen, folgt. In dieser Vermengung erscheinen Migranten vor allem aber Flüchtlinge als jene, die den Einheimischen die Jobs wegnehmen. Gerade weil deren mangelnde Qualifizierung sie angeblich zu dem macht, was Arbeitgeber wollen: zu neuen Arbeitssklaven ohne gesellschaftliche Einbindung, da sie kulturell nicht "absorbierbar" seien. Diese abzuwehren soll also helfen, die Errungenschaften der Arbeiteremanzipation und jene des Sozialstaates zu bewahren. Für "unsere" Leute.

Diese Gemengenlage hat sich in eine illusionäre Logik geflüchtet, die nicht auf England beschränkt ist: die Illusion, die EU würde das Land pluralisieren, und den illusionären Umkehrschluss - der Nationalstaat würde und könnte diesen pluralistischen Spuk wieder beenden.

Ein anderes Motiv ist die Sehnsucht nach Souveränität. Auch das ist keine rein britische Sehnsucht. Das Gefühl eines Souveränitätsverlustes findet man heute in ganz Europa. Interessant ist, dass die "Rettung" der politischen Souveränität noch die Spuren ihres Verlustes trägt: Denn man spricht Politikern offenbar nur an der Identitätsfront, nicht aber an der ökonomischen Front noch Souveränität zu. Handlungsmacht wird der Politik also nicht in Bezug auf die ökonomische Gestaltung zugesprochen - sondern nur in Bezug darauf, einen geschützten Raum der Ähnlichen herzustellen, der die Nicht-Ähnlichen, die Fremden abwehrt.

Der EU-Skepsis kommt dabei eine besondere Funktion zu: Sie erlaubt es, den Feind nach außen zu projizieren. Eine Strategie, um die eigene Souveränität zu retten. Aber das, was die politische Souveränität tatsächlich in Frage stellt, wird dabei ausgeklammert: die ökonomische Globalisierung. Wo aber sitzt diese? Wo sitzen die neoliberalen Eliten? In Brüssel? In der Londoner City?

"Wir haben gegen die Multinationalen gekämpft", rief Nigel Farange. Wenn man diesen Kampf heute aber als Kampf um die Abschottung einer Gesellschaft führt, dann ist das wie in einem Hitchcock-Film. Du kannst Dich in Dein Haus einsperren, so viel Du willst. Der Feind, das Unheimliche ist schon drin. Wenn Du absperrst, sperrst Du ihn mit ein.