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Was hat Al-Kaida noch in der Hand?

Von David Ignatius

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Der Autor war Chefredakteur der "International Herald Tribune". Seine Kolumne erscheint auch in der "Washington Post".

Lange vor den 9/11-Anschlägen hat die Al-Kaida versucht, Massenvernichtungswaffen in ihren Besitz zu bringen. Ob sie dabei Erfolg hatte, ist bis heute ungewiss. | Nachdenken über das Undenkbare, dafür wird Rolf Mowatt-Larssen bezahlt. Als Geheimdienstdirektor des Energie-Ressorts der US-Regierung sammelt er Informationen über Terroristen, die einen nuklearen Anschlag auf die USA planen.


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Mit seinem weißen Haarschopf und seinem durchdringenden Blick wirkt Mowatt-Larssen wie jemand, der gerade einem Geist begegnet ist. Und wenn man sich anhört, welche Informationen er kürzlich Präsident George W. Bush und seinem Team gegeben hat, versteht man auch warum. Nach Prüfung seines Materials ist er zu der Überzeugung gelangt: Die Al-Kaida versucht, in Besitz einer Atombombe zu kommen.

Die Panikmacherei der letzten Jahre reicht wohl für den Rest des Lebens: Tatsächlich sind die USA seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 so sehr der Terrorangst verfallen, dass sie sogar den Job der Terroristen übernommen und selbst mit der Aushöhlung ihrer Demokratie begonnen haben.

Gern würde ich daher über die Warnung von Mowatt-Larssen hinweggehen und sie als Übertreibung eines überreizten früheren CIA-Mitarbeiters abtun, der zu viele Jahre im Schützengraben verbracht hat. Es scheint mir aber wichtig, auf seine Warnungen einzugehen - nicht, um noch mehr Ohnmachts-Gefühle zu verbreiten, sondern ganz im Gegenteil, um die Chance der Entdeckung solcher Pläne zu vergrößern.

Rolf Mowatt-Larssens Unterlagen zufolge hat die Al-Kaida schon ein Jahrzehnt vor den Anschlägen vom 11. September 2001 begonnen, Massenvernichtungswaffen zu erwerben. Schon 1993 hat Osama bin Laden offenbar 1,5 Millionen Dollar für Uranium geboten.

Als Osama bin Laden 1998 gefragt wurde, ob er nukleare oder chemische Waffen besitze, antwortete er: "Waffen zur Verteidigung der Muslime zu erwerben, ist eine religiöse Pflicht. Sollte ich also tatsächlich an solche Waffen gekommen sein, dann danke ich Allah, dass er mir das ermöglicht hat."

Sogar während der Vorbereitung auf die 9/11-Anschläge versuchte die Al-Kaida, nukleare und biologische Waffen in ihren Besitz zu bringen. Im August 2001 hatte bin Laden zusammen mit seinem Stellvertreter Ayman al-Zawahiri ein Treffen mit pakistanischen Wissenschaftern, bei dem es um die Frage ging, wie die Al-Kaida eine Atombombe herstellen könnte.

Daneben unterhielt die Al-Kaida ein Anthrax-Programm, das im Dezember 2001 bei der Vertreibung Osama bin Ladens aus seinem Unterschlupf in Afghanistan entdeckt wurde. Im Mai 2003 versuchten saudische Mitglieder der Al-Kaida, drei russische Atombomben zu kaufen.

Auch an begleitenden religiösen Begründungen zur Rechtfertigung der geplanten Massenvernichtungsanschläge ließ es die Al-Kaida nicht fehlen.

Am erschreckendsten ist aber die Entscheidung, die al-Zawahiri im März 2003 traf, nämlich den geplanten Zyankali-Anschlag auf die New Yorker U-Bahn abzubrechen. "Wir haben etwas Besseres", sagte er. Was hat er damit gemeint? Wir haben es bis heute nicht erfahren.

Nach 2004 ist es laut der Untersuchung Mowatt-Larssens ruhig geworden um die Bemühungen der Al-Kaida, Massenvernichtungswaffen zu erwerben. Und viele Geheimdienstanalysten schließen daraus, dass die Al-Kaida damit keinen Erfolg hatte. Ehrlicherweise müsste man, so Mowatt-Larssen, sagen: Wir wissen es nicht.

Wie sollen die USA mit dieser gespenstischen Bedrohung umgehen? Wie können sie und ihre Verbündeten all ihre Geheimdienstkräfte am besten einsetzen, um geplante Anschläge rechtzeitig zu entdecken? Wie könnte man die gesamte Geheimdiensttätigkeit neu aufbauen, um diese äußerste Katastrophe zu verhindern?

Übersetzung: Redaktion