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Was hat der, was ich nicht habe?

Von Christian Thiel

Reflexionen

Missmutig schlug ich den Mantelkragen hoch und stapfte hinaus in den kalten Wintertag. Wieder lag eine Verabredung hinter mir - und wieder war es nichts gewesen. Der Abend mit Grit war nett, ja, das schon. Aber es fehlte einfach das gewisse Etwas. Dieser Hauch von Besonderem. Die unmittelbare Anziehung, die ich zum Beispiel bei Barbara gespürt hatte. Die hatte mich zwar nur als Liebhaber haben wollen, aber immerhin.


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Es war die fünfundfünfzigste Verabredung, seit ich im vergangenen Jahr am Valentinstag mit der Partnersuche begonnen hatte. Seit zwölf Monaten war ich jetzt also schon auf der Suche - und immer noch Single. Ich lief ziellos dahin und zog die kalte Luft tief in meine Lungen. Meine Brust schmerzte. Wahrscheinlich war ich schlicht ein hoffnungsloser Fall. Nie stimmte es bei meinen Verabredungen. Entweder die Frauen wollten mich nicht. Oder aber ich mochte die Frauen nicht.

Ich hatte für meine Treffen sogar eine genaue Strichliste angelegt: 22 Mal hatte ich einen Korb bekommen und zog enttäuscht von dannen. Kein gutes Gefühl. Zwölf Mal hatte ich selber einen Korb verteilt und die Frauen schlichen wie begossene Pudel davon. Auch nicht viel besser. Die restlichen 21 Verabredungen endeten "unentschieden". Irgendwie war uns beiden bald klar, dass wir nicht füreinander bestimmt waren und wir gingen auseinander, nachdem wir höflich über Gott und die Welt und die Tücken der Partnersuche geplaudert hatten.

Immer die anderen. Ein leiser Nieselregen setzte ein und kühlte angenehm meine heiße Stirn. Ich entschied mich, noch kurz bei Monika vorbeizugehen, meiner Vertrauten und besten Freundin. Ein Gespräch mit ihr würde mir bestimmt gut tun. Monika freute sich, mich zu sehen und schob mich ins Wohnzimmer. Sie war allein. Ihr Mann Thomas war zum Elternabend gegangen. Im Fernsehen lief gerade eine Sendung über Carla Bruni. Sie sang eines ihrer Lieder und spielte dazu auf der Gitarre. Dann sprach die Moderatorin von der Hochzeit der Sängerin und zeigte Fotos von ihr mit Nicolas Sarkozy, dem französischen Präsidenten. Die beiden turtelten verliebt in einem Pariser Cafe.

Glückliche Liebespaare passten so gar nicht zu meiner niedergeschlagenen Stimmung. Neidisch schaute ich zu, wie Sarkozy und Bruni sich küssten. Warum klappte das bei denen und bei mir nicht? Dabei war Sarkozy gerade einmal sechs Wochen Single gewesen - unglaublich! Was hat der, was ich nicht habe?

"Was ist denn nur falsch an mir?", fragte ich Monika. "Nichts ist falsch an dir", erwiderte sie tadelnd. "Denk doch nicht so was! Es war nur einfach noch nicht die Richtige dabei. Eine, die deine Qualitäten auch zu schätzen weiß. Die, die du getroffen hast, die suchten nach jemand anderem. Das ist schon alles." Das mit den Qualitäten gefiel mir ausnehmend gut. Aber so sehr ich auch nachhakte, Monika wollte dazu nichts weiter sagen.

Gut Ding braucht Weile. "Aber warum dauert die Suche bei mir nur so lange?", beklagte ich mich bei ihr. "Liegt es an meinem Aussehen? Habe ich schiefe Zähne? Einen Silberblick? Oder Mundgeruch?" Ich muss sehr frustriert geklungen haben, denn Monika erwiderte zunächst einige Zeit nichts. Wir schauten schweigend in den Fernseher, wo Carla Bruni jetzt ein weiteres Lied sang und sich dazu auf einem Sofa räkelte.

"Ich habe mal von einem Mann gehört, der fünf Jahre lang nach der passenden Frau gesucht hat", sagte Monika schließlich in betont nüchternem Ton. Mir rutschte umgehend das Herz in die Hose. Fünf Jahre, was für eine quälend lange Zeit! Als ich mit der Partnersuche anfing, hatte ich angenommen, nach zwei oder drei Monaten die Frau fürs Leben gefunden zu haben. Ansonsten hätte ich mich gar nicht erst auf die Suche gemacht. Nach einem Jahr ging mir so langsam die Puste aus.

Ich hatte keine Lust mehr auf all diese Körbe. Ich hatte keine Lust mehr auf Verabredungen, zu denen ich voller Hoffnung ging. Keine Lust mehr auf die bange Erwartung, was sie sagen würde, wenn ich anrief und auf eine zweite Verabredung hoffte. Keine Lust auf die Hoffnungslosigkeit, die mich unweigerlich überfiel, wenn die erwartete Absage kam. Wieder kein zweites Treffen. Wieder hatte ich eine Niete gezogen in der großen Lotterie des Lebens und nicht das große Los. Das war auch auf dem Kirtag als Kind schon immer so gewesen. Die großen Teddys gewann meine Cousine Angelika. Ich bekam immer den Trostpreis. Und später, in meiner Jugend, sagten die Mädchen meistens Nein, wenn ich sie beim Autoscooter zu einer Fahrt einladen wollte. Meinen Freunden passierte so etwas nie.

Mach mal Pause. Monikas Stimme riss mich aus meinen trüben Gedanken. "Vielleicht brauchst du einfach mal eine Pause", sagte sie. "Du musst doch nicht unablässig suchen und suchen." Im Fernsehen waren sie jetzt dazu übergegangen, die vorherigen Liebschaften von Carla Bruni durchzugehen. Meine Neidgefühle gegenüber Sarkozy verschwanden bald. Vielleicht hatte er es doch nicht so gut getroffen wie ich angenommen hatte. Ja, eine Pause hatte ich mir sicherlich verdient.

"Das war übrigens mein Mann, der fünf Jahre gesucht hat", sagte Monika. "Er hat aber immer wieder lange Pausen eingelegt und dann von neuem angefangen." Ich schaute Monika ungläubig an. Nie wäre ich auf die Idee gekommen, dass Thomas so lange gebraucht hatte. Er war nett und umgänglich und schlecht aussehen tat er auch nicht. Erstaunlich!

"Sieh mal", setzt Monika erneut an, "vielleicht solltest du die Sache mit der Partnersuche etwas realistischer sehen." Im Grunde gehe es ja gar nicht um eine Suche, führte Monika aus, sondern vielmehr um eine Wahl. "Wir sprechen gerne von der Partnersuche. Suche - ich sehe bei diesem Wort immer meine Kinder, wie sie zu Ostern den Garten nach Schokoladeneiern absuchen. Ich habe eins, ruft ein Kind triumphierend. Ich auch, schallt es aus der anderen Ecke des Gartens zurück." Partnersuche - schon dieses Wort führe uns in die Irre: Bei der Suche sei die entscheidende Frage immer: "Finde ich oder finde ich nicht?". "Meinen Söhnen ist es herzlich einerlei, was genau sie da finden, Hauptsache, sie finden etwas und es ist rund und aus Schokolade."

Früher sprach man dagegen von der Partnerwahl. "Partnerwahl - wie altmodisch das heute klingt", sagte Monika. Die Idee war interessant. Wahl - ich sah bei diesem Wort die Wahlkabinen vor mir und die zahlreichen bunten Wahlzettel, auf denen ich ankreuzen konnte, welchem Kandidaten, welcher Kandidatin und welcher Partei ich mein Vertrauen aussprach und wo ich demnach mein Kreuz machte. "Genau das ist es, worum es bei der Liebe in Wahrheit geht. Wir müssen eine Entscheidung treffen. Eine Entscheidung für den Einen oder für die Eine. Eine Entscheidung gegen andere mögliche Kandidatinnen und Kandidaten. Wir müssen wählen." So hatte ich das noch nie gesehen. Aber es stimmte ja: Ich hatte gewählt - und mich in den meisten Fällen gegen ein zweites Treffen entschieden. Den Frauen war es genauso ergangen. Wirklich gepasst hatte es also nie.

"Du suchst eben nicht irgendeine", sagte Monika. "Du suchst nach einer Frau, die wirklich zu dir passt." Ich müsse mir immer vorstellen, ich sei der Prinz, der die Prinzessinnen zu sich einlade, um sie dann auf ihre Tauglichkeit zu prüfen. So sehr ich auch nachdachte, mir fiel kein Märchen ein, das so verlief. Vielleicht hatte ich ja in der Schule schlecht aufgepasst, aber in meiner Erinnerung suchten Prinzen mit einem Schuh in der Hand nach der Frau fürs Leben.

Thomas kam vom Elternabend zurück und ich verabschiedete mich. Monika hatte recht: Ich brauchte eine Pause. Ich brauchte wieder mal mehr Zeit für mich. Bei all den Treffen hatte ich in den letzten Monaten das Joggen völlig vernachlässigt. Schon am nächsten Abend setzte ich meinen Vorsatz in die Tat um und trabte meine gewohnte Runde durch den Park. Am Ausgang kam mir eine Radfahrerin entgegen, die mir irgendwie bekannt vorkam. Wo hatte ich sie nur schon einmal gesehen? Ob sie wohl Single war? Einerlei! Ich machte jetzt eine Pause bei der Partnersuche - einen Flirt konnte ich zur Zeit nicht gebrauchen.