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Wachstum ist mehrheitsfähig geworden. Gut so: In der Rezession ist es noch keinem Staat gelungen, seine Finanzen zu sanieren. Es gibt nur leider ein Problem: Alle reden darüber, wie wichtig Wachstum ist. Sie meinen damit aber völlig Unterschiedliches.
François Hollandes Vorschlag, den (im Geiste deutscher Sparsamkeit geschmiedeten) Fiskalpakt um einen Wachstumspakt zu ergänzen, bleibt inhaltlich im Ungefähren. Politisch ist das verständlich: Es wäre irrwitzig und unglaubwürdig, Konjunkturpakete zu verkünden, wie sie 2009 geschnürt wurden, um den Absturz aufzufangen - das würde die Schuldenkrise nur verschärfen. In Interviews sprach Hollande lediglich über "Projekt-Anleihen" für Investitionen und Darlehen der Europäischen Investitionsbank für Industrie-, Energie- und Infrastrukturprojekte. Dergleichen ist aber ohnehin geplant, wie EU-Kommissar Olli Rehn betont.
Zentralbank-Chef Mario Draghi ist ebenfalls für Wachstum zu haben. Bei seinen Statements steht aber Budgetkonsolidierung an erster Stelle. Und "Wachstum schaffen" ist für Draghi gleichbedeutend mit "Strukturreformen umsetzen": Der Staat soll nicht mehr Geld ausgeben, sondern unternehmerische Tätigkeit erleichtern, den Wettbewerb forcieren, die Flexibilität bei Löhnen und Arbeitsverhältnissen steigern. Das klingt gut, bedeutet realiter aber höchst unpopuläre Maßnahmen, wie die Lockerung des Kündigungsschutzes, gegen die in Spanien heftig demonstriert wird.
Bemerkenswert, dass nun sogar schon Deutschland über einen Wachstumspakt nachdenkt. Kanzlerin Angela Merkel, Finanzminister Wolfgang Schäuble und Außenminister Guido Westerwelle nehmen den Begriff freilich nicht in den Mund, ohne das Wörtchen "Wettbewerbsfähigkeit" nachzuschieben. Übersetzt heißt das: Alle sollen nach deutschem Muster wachsen. Das ist zwar denkunmöglich, weil nicht alle Länder zur gleichen Zeit hohe Exportüberschüsse erzielen können. Aber egal: Letztlich meint Berlin mit seiner Definition von Wachstum ohnehin exakt dasselbe, was es auch mit der Spardebatte und dem Fiskalpakt verfolgt.
Warum ist die Diskussion dennoch positiv? Seit Jahren hören Konsumenten und Unternehmer nur "Sparen, sparen, sparen". Wen wundert es, wenn sie genau das tun und die Wirtschaft auf Sinkflug schicken? Psychologisch gesehen ist es da ein Fortschritt, wenn über Wachstum gesprochen wird. Vielleicht lässt sich dieses ein bisschen "herbeireden".
Und überdies hat Europa schon immer so funktioniert. Siehe Wirtschaftsregierung: Da haben Deutschland und Frankreich auch jahrelang konsequent aneinander vorbeigeredet - und sich dann doch auf Sinnvolles geeinigt.