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Was heißt Gleichheit heute?

Von Isolde Charim

Gastkommentare
Isolde Charim ist Philosophin und Publizistin und arbeitet als wissenschaftliche Kuratorin am Kreisky Forum in Wien.
© Daniel Novotny

Und wer kündigt sie auf?


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"Swiss-Leaks" - das ist der bezeichnende Name für jene Datenbombe, die diese Woche hochgegangen ist. Hervé Falciani ist der Name des neuesten "Whistleblowers". Der ehemalige Mitarbeiter der HSBC Bank hat vor seinem Abgang Listen mit Namen und detaillierten Kontoinformationen entwendet. Falciani hat die vertraulichen Unterlagen der französischen Steuerbehörde übergeben. Das "Internationale Konsortium investigativer Journalisten" hat die Informationen danach ausgewertet und veröffentlicht. Demnach belegen die Unterlagen eine massive internationale Steuerflucht: Rund 75 Milliarden Euro sollen zwischen 1988 und 2007 an den Finanzämtern vorbei in der Schweizer Filiale der britisch-asiatischen Großbank steuerschonend angelegt worden sein.

Dies ist nicht einfach nur eine Wirtschaftsmeldung. Denn Steuerhinterziehung in diesem Ausmaß ist in doppelter Hinsicht sensibel. Zum einen ist es natürlich rein materiell schwierig, wenn dem Staat jährlich Millionen an Einnahmen entgehen. Selbst wenn man eine sportlich-anarchische Einstellung dazu hat - das Beispiel Griechenland macht jedem klar, wie sehr Steuerhinterziehungen im großen Maßstab ganze Volkswirtschaften schädigen. Zum anderen aber geht Steuerflucht dieser Art weit übers Materielle hinaus: Sie greift unsere Vorstellung von Gleichheit an.

Gleichheit ist heute weder qualitativ noch quantitativ definierbar: Weder sind wir inhaltlich, kulturell gleich, noch ökonomisch. Wo wir aber gleich sind oder sein sollten, das ist unser Verhältnis zu staatsbürgerlichen Rechten und Pflichten. Gleichheit bedeutet heute, so Pierre Rosanvallon, eine Beziehung: die gleiche Beziehung zu Regeln und Institutionen. Diese gelten für alle. In gleicher Weise. Wenn nun sehr vermögende Menschen sich den Pflichten - etwa der Steuerleistung - entziehen, wenn sie handeln, als ob diese Regeln für sie nicht gelten, dann verletzt das eben auch die Gleichheit.

Dies ist das moderne Gegenstück zu dem, was in traditionellen Gesellschaften die Privilegien des Adels waren. Nur waren deren Privilegien eine gesellschaftlich akzeptierte Sonderstellung. Das ist bei der heutigen Form der "Privilegien" anders: Reiche verfügen nicht nur über viel Geld, sondern auch über die Mittel, sich den allgemeinen Regeln zu entziehen (etwa mittels Schweizer Banken). Dieses "Privileg" ist also die Möglichkeit, sich den Pflichten zu entziehen. Eine Sonderstellung, die nicht akzeptiert ist - nicht nur, weil sie die Gesellschaft materiell schädigt, sondern weil sie sie auch ideell schädigt. Sie kündigt die Gleichheit, den gleichen Bezug zu Vorschriften und Gesetzen, auf.

Ein solches "für mich gilt das nicht" erzeugt nicht einfach Sozialneid - ein Gefühl, das sich leicht als Ressentiment der Zu-kurz-Gekommenen verleumden lässt. Es erzeugt vielmehr soziales Misstrauen - denn es ist die Aufkündigung der Wechselseitigkeit, dass alle proportional gleich viel zur Gesellschaft beitragen, es ist die Absage an die Vorstellung des Staatsbürgers als der gleichen Einbindung aller.

Man redet so gerne vom Sozialschmarotzer und meint damit jene, die am unteren Ende der Hierarchie den Sozialstaat real oder fiktiv ausnützen. Was aber ist mit jenen, die die Gleichheit am anderen Ende, auflösen?