Grün ist die Hoffnung - Was ist vom so oft gebrauchten Schlagwort "Nachhaltigkeit" geblieben? Eine Spurensuche.
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Erledigt hat sie sich noch nicht, die Sache mit dem Umweltschutz, so viel ist sicher. Klimawandel, schwindende Ressourcen und der Verlust von Biodiversität sind nur einige der drängenden Umweltprobleme unserer Zeit. Dazu kommt die steigende Weltbevölkerung, die bereits 7,6 Milliarden erreicht hat.
Der Club of Rome, jener internationale Thinktank, der 1972 mit seinem vielzitierten "Die Grenzen des Wachstums" ein Standardwerk der Ökologie-Bewegung schrieb, veröffentlichte jüngst einen neuen Bericht zur Lage der Ökosysteme mit dem ungehaltenen Titel: "Come on!". Darin schreiben die Experten die Warnungen aus den Siebzigern seien immer noch aktuell, denn die menschengemachten Schäden nehmen mit steigender Geschwindigkeit zu und werden, wenn sie sie schleunigst gestoppt und rückgängig gemacht werden zum Kollaps der Weltwirtschaft führen. Viele der Gegenmaßnahmen, die heute en vogue seien, schreiben die Verfasser, seien kontraproduktiv. Gemeint sind zum Beispiel der Emissionshandel und andere Lösungen, die das kapitalistische System nicht abmildern, sondern nur verstärken. Die globale Krise sei vor allem philosophischer Natur: Milliarden von Menschen hätten das Vertrauen in die Politik verloren, die Mittelklasse schrumpfe in vielen Industrienationen.
Nicht weniger als eine "Neue Aufklärung" sei jetzt angebracht, die eine Balance bringen soll zwischen Mensch und Umwelt, zwischen Staat und Markt und zwischen kurz- und langfristigem Denken. In der Einleitung des Pamphlets wird auch Papst Franziskus zitiert, der mit seiner zweiten Enzyklika "Laudato si' – Über die Sorge für das gemeinsame Haus" einen leidenschaftlichen Appell für Umwelt- und Klimaschutz formuliert. Darin kritisiert er in scharfen Worten Konsumdenken und verantwortungsloses Handeln und fordert die Menschheit auf, schnell und geeint aktiv zu werden. Die Schrift gilt als Wendepunkt in der Geschichte der katholischen Kirche. Nie zuvor hat sich ein Papst derart kritisch über das herrschende System geäußert.
300 Jahre alte Idee
Eins haben all die Warnungen und Expertisen gemeinsam: Das Hauptproblem sehen sie im kurzfristigen Denken, die Lösung lautet Nachhaltigkeit. Wenige Begriffe wurde in den letzten Jahren derart inflationär gebraucht wie jener der Nachhaltigkeit. Er taucht in Zeitungsartikeln auf, in wissenschaftlichen Beiträgen und - vielleicht am häufigsten – in Werbetexten. Das macht es nicht ganz einfach, zu erklären, was Nachhaltigkeit eigentlich ist, denn der Begriff wird in sehr unterschiedlichen Zusammenhängen verwendet. Grundsätzlich geht es darum, Ressourcen so zu nutzen, dass sie sich auch wieder regenerieren können.
Ursprünglich stammt der Begriff übrigens aus der Forstwirtschaft und ist schon über 300 Jahre alt. Schon damals gab es den Gedanken, an die nachkommenden Generationen zu denken und Ressourcen zu schonen. Ein sächsischer Bergebeamter mit dem klingenden Namen Hans Carl von Carlowitz veröffentlichte seine für die Forstwirtschaft zur Bibel avancierte Schrift "Sylvicultura oeconomica oder Hauswirthliche Nachricht und Naturgemäße Anweisung zur Wilden Baumzucht." Darin schreibt er von seiner Vorstellung einer "nachhaltenden Nutzung" und begründete damit unwissentlich die erst verhaltene, in den letzten Jahren steile Karriere des Begriffs.
Seine damals radikale Forderung: nicht mehr Holz ernten als auch wieder nachwachsen kann. Er schreibt, die Ökonomie sei der Wohlfahrt des Gemeinwesens verpflichtet, sie sei zu einem schonenden Umgang mit der "gütigen" Natur verpflichtet und gebunden an die Verantwortung für künftige Generationen. Würde ein Wald nämlich komplett abgeholzt, müssten sich folgende Generationen je nach Baumart circa siebzig Jahre gedulden, bis sie ihn wieder nutzen können. Und das gilt nur für schnell wachsende Bäume. Bei langsam wachsenden Spätentwicklern wie Eichen oder Buchen würde es dementsprechend viel länger dauern. Die Gedanken des sächsischen Beamten waren bahnbrechend. Doch es sollte noch weit über zwei Jahrhunderte bis sie im Mainstream ankamen.
Gegen den Kollaps
1972 schrieb der amerikanische Ökonom Dennis Meadows in dem schon erwähnten Bericht des Club of Rome "Die Grenzen des Wachstums" folgendes: "Wir suchen nach einem Modell, das erstens nachhaltig ist ohne plötzlichen und unkontrollierbaren Kollaps und zweitens in der Lage ist, die materiellen Grundbedürfnisse aller Menschen zu befriedigen."
Damit war Nachhaltigkeit als Gegenteil eines Kollapses definiert und die – erst wissenschaftliche, dann mediale - Karriere des Begriffes begann. Doch es sollte noch zwei Jahrzehnte dauern, bis er einen globaleren Anstrich bekam. 1992 wurde bei der Konferenz der Vereinten Nationen in Rio de Janeiro das Prinzip der Nachhaltigkeit zum ersten Mal offiziell auf die internationale Gesellschaft übertragen: Umwelt-, Entwicklungs- und Wirtschaftspolitik sollten ab jetzt das gemeinsame Ziel haben, die Bedürfnisse heutiger Generationen zu befriedigen und die Lebensqualität für alle Menschen langfristig zu sichern.
In den letzten Jahren hat sich der Begriff der Nachhaltigkeit zum regelrechten Buzzword entwickelt: es klingt vernünftig, seriös und sympathisch. Gegen Nachhaltigkeit kann eigentlich niemand etwas haben. Oder? In allen Branchen werden Nachhaltigkeitspreise verliehen und auch die Berater haben längst das Potential erkannt, es hat sich eine regelrechte Beratungsindustrie zum Thema Nachhaltigkeit entwickelt.
Nachhaltiger Bluff?
Das Problem bei der Sache ist, dass sich unter dem Banner der Nachhaltigkeit verschiedenste Verfechter versammelt haben. Da sind zum einen die überzeugten Umweltschützer, die es ernst meinen, mit dem langfristigen Denken, dem Ressourcenschonen und dem wirtschaftlichen Umdenken. Da gibt es aber zum anderen aber auch eine sehr große – mittlerweile wahrscheinlich weitaus größere Gruppe aus Nachhaltigkeits-Trittbrettfahrern, die den Begriff nutzen, um ihre eigene Agenda voranzutreiben.
Da wären zum Beispiel alle jene, die sich den Begriff "nachhaltig" auf die Fahne – oder das Werbeplakat – schreiben, um Profit zu machen, ohne dass viel dahinter steckt, wie zum Beispiel große Billigmode-Ketten, die in großen Marketing-Aktionen ankündigen bis zu einem gewissen Jahr in der Zukunft beabsichtigen auf Biobaumwolle umzusteigen, die aber heute noch mit ihrer Billigstproduktion in Niedriglohnländern Menschen und Natur durch giftige Chemikalien und rücksichtslose Produktionsmethoden gefährden.
Oder Autofirmen, deren neuestes Modell etwas weniger verbraucht als jenes davor und damit als besonders umweltfreundlich angepriesen wird. Dass es immer noch eine Dreckschleuder ist, wird elegant verschwiegen. Die Liste an Beispielen pseudo-umweltfreundlicher Firmen könnte endlos weitergehen, das Stichwort lautet "Greenwashing", also so tun als ob. Um besonders "grün" daherzukommen, werden die vermeintlich umweltschonenden Produkte gern mit grafischen Tricks wie grünen Blättern oder Herzen geadelt – und natürlich dem Verkaufsargument "nachhaltig".
Und dann gibt es noch die politischen Nachhaltigkeits-Aposteln, denen all das Gerede um die schwindenden Ressourcen gerade recht kommt: So lässt sich nämlich bestens argumentieren, dass jetzt alle "den Gürtel enger schnallen" müssen. Dass es in der Ökonomie anders als im Umweltschutz aber eher um Fragen der Verteilung geht, lässt sich mit dem ausgeborgten Begriff scheinbar gut verschleiern.
Auch wenn im Umweltschutz und der Bio-Landwirtschaft sich schon einiges getan hat: Nachhaltigkeit läuft heute Gefahr, zum Marketing-Gag für Wirtschaft und Politik zu werden. Dann wäre vom Grundgedanken nicht mehr viel übrig. Hans Carl von Carlowitz, der Erfinder des Nachhaltigkeits-Begriffs war vor über drei Jahrhunderten jedenfalls skeptisch, was die praktische Umsetzung seiner Idee der Rücksicht auf die Ressourcen der Kinder und Enkelkinder betrifft. Seine pessimistische Prognose scheint sich heute zu bewahrheiten:
"Wenn uns nicht die höchste Noth hierzu zwinget, so wird man sonsten schwerlich daran gehen, ehe und bevor uns das Wasser bis zum Hals und ins Maul reichet."
Diesen und weitere Artikel zum Thema finden Sie auch im "Wiener Journal" vom 2. März 2018.