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Was hinter dem Ruf nach einem starken Mann steckt

Von Wolfgang Wolte

Gastkommentare
Wolfgang Wolte war Botschafter bei den Europäischen Gemeinschaften in Brüssel.

Im Umgang mit der Politik und ihren Leistungen empfiehlt sich Kritik mit Augenmaß.


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Es gehört heute schon fast zum guten (?) Ton, gegen die Politiker zu wettern. Und tatsächlich zeigt eine Umfrage der Sozialwissenschaftlichen Studiengesellschaft, dass die politischen Parteien in der Bevölkerung wenig Vertrauen genießen und ihre Problemlösungskompetenz sehr niedrig bewertet wird.

Sind also unsere Politiker schlechter als ihre Vorgänger? Führen der höhere Bildungsgrad der Österreicher und Österreicherinnen, die große Informationsflut, befördert durch Fernsehen, Boulevardpresse und nicht zuletzt das Internet, zu einer generell skeptischen, pessimistischen Einstellung? Diese Informationsquellen krallen sich an Schreckensszenarien fest, angefangen von der Gefahr eines neuen Kalten Krieges bis zu einer drohenden Klimakatastrophe. Wer da nach Rettern Ausschau hält, wird sie in unserem Politikerangebot kaum finden.

Dass die Wähler in dieser Situation nach einem hart zupackenden Politiker, einem "starken Mann" oder einer "starken Frau" rufen, wird oft missverstanden. In Wirklichkeit wollen sie einen Mann wie Bruno Kreisky, einen Demokraten, der uns klar sagt, wo es lang geht.

Zur Situation in Österreich: Über die große Koalition wird geschimpft, neue Formen der Entscheidungsfindung werden gefordert. Dabei verlieren wir gerne das Gesamtbild aus den Augen.

Die Qualität einer Wirtschaft wie auch eines politischen Systems lässt sich am besten im internationalen Vergleich beurteilen. Da hatte Österreich seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs zwölf Regierungen, während es etwa Italien seit 1945 auf 63 Regierungen gebracht hat. Die politische Stabilität eines Regierungssystems und eine saubere, effiziente Verwaltung sind von überragender Bedeutung für die wirtschaftliche, politische und soziale Entwicklung eines Landes. Dass Österreich über viele Jahrzehnte so gut abgeschnitten hat, haben wir zweifellos auch jenen Politikern zu verdanken, über die der Staatsbürger so gerne herzieht.

Bundeskanzler Christian Kern hat dazu einen schlimmen, aber gerechtfertigten Satz geprägt: "Sie - die Kritiker - wollen, dass wir vor ihnen knien!" Und gerade jene, die die meisten Politiker kritisieren, antworten auf die Frage, warum sie nicht in die Politik gehen, wenn sie doch ohnehin alles besser wissen: "Ich bin doch nicht blöd, dass ich mir so etwas antue."

Bei aller durchaus berechtigten Kritik an Entscheidungsprozessen sollten wir doch auch berücksichtigen, dass die wichtigsten Entscheidungen in der Union getroffen werden müssen. Außerdem stand die Europäische Union noch nie vor so schwerwiegenden Problemen. Bevor es die EU gab, wurden Meinungsverschiedenheiten und Interessenkonflikte nicht in mühseligen Verhandlungen, sondern in gefährlichen Machtkämpfen, die oft in Kriege ausarteten, ausgetragen.

Natürlich hat die heimische Politik einen gewissen Spielraum, den man allerdings sehr realistisch und bescheiden einschätzen muss. Ein Frieden im Nahen Osten oder eine Lösung globaler Probleme stellen auch für die EU fast ausweglos erscheinende Herausforderungen dar - und auch da empfiehlt sich daher Kritik mit Augenmaß.