Zum Hauptinhalt springen

Was hinter dem Ständestaat stand

Von Franz Schausberger

Gastkommentare

Die Beurteilungen der Regierung Dollfuß durch den Sozialdemokraten und Politologen Emerich Tálos respektiere ich, kann sie aber als Christdemokrat und Historiker nicht in allen Bereichen teilen.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 13 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Mit einer längst überwunden geglaubten politischen Polarisierung tut man der Sache - sprich: einer möglichst objektiven Aufarbeitung der österreichischen Zeitgeschichte - nichts Gutes.

Der Streit, ob das politische System zwischen 1933 und 1938 als "Austrofaschismus" oder als "Ständestaat" zu bezeichnen ist, bringt uns inhaltlich nicht wirklich weiter. Ich schließe mich den vielen an, die nach langen Forschungen zum Terminus "autoritärer Ständestaat" gekommen sind. (Übrigens: Spricht jemand vom "Litaufaschismus", "Polnofaschismus", "Jugofaschismus" usw., obwohl dort und in den meisten anderen europäischen Ländern genauso autoritär regiert wurde wie in Österreich?)

Emmerich Tálos widerspricht sich im Interview ("Wiener Zeitung", 14. Mai) selbst: Er meint, "Ständestaat" sei ein politischer und kein wissenschaftlicher Begriff, weil er vom Regime selbst verwendet wurde. Aber auch "Faschismus" wurde von Benito Mussolini für sein Regime verwendet. Ist das nun ein "wissenschaftlicher" Begriff oder auch nur ein "politischer"?

Nachdem die Nationalsozialisten bei den Landtagswahlen vom 24. April 1932 hoch gewonnen hatten und in drei Landtage und Landesregierungen eingezogen waren, versuchten Engelbert Dollfuß, Karl Buresch und Wilhelm Miklas die Sozialdemokraten für eine gemeinsame Regierung zu gewinnen. Diese waren nicht einmal in dieser dramatischen Situation aus rein parteitaktischen Überlegungen bereit dazu und drängten - gemeinsam mit den Nationalsozialisten - unbedingt auf Neuwahlen, auch auf die Gefahr hin, dass die Nazis sehr stark ins Parlament einziehen würden. Beschluss in der sozialdemokratischen Parteivertretung vom 5. Mai 1932: Es sei "besser, die Nazi zu binden, als eine christlichsozial-sozialdemokratische Koalition zu machen".

"Niemand hat Dollfuß gezwungen" - jeder weiß inzwischen, dass Österreich seine Unabhängigkeit nur mit Hilfe Italiens gegenüber Adolf Hitlers Aggression verteidigen konnte. Aber dafür machte der Duce gewaltigen Druck auf Dollfuß, von der Demokratie und von den Sozialdemokraten abzurücken. Es blieb also nur die Alternative: Unabhängigkeit Österreichs mit mehr autoritärem Regieren oder Ausgeliefertsein an Hitler. Die westlichen Demokratien waren an Österreich überhaupt nicht interessiert, von ihnen war keinerlei Hilfe zu erwarten.

Wohlgemerkt: Ich habe keinesfalls die Absicht, das Dollfuß-Regime blauäugig weißzuwaschen. Der gravierendste Vorwurf ist, dass der "christliche" Politiker Dollfuß an den Aufständischen von 1934 Todesurteile vollstrecken ließ. Bundespräsident Miklas verließ Tag und Nacht sein Büro nicht, um den Begnadigungsantrag des Justizministers nicht zu versäumen. Leider kam dieser nicht.

Franz Schausberger war Landeshauptmann von Salzburg und ist Universitätsdozent für Neuere Österreichische Geschichte und Buchautor ("Letzte Chance für die Demokratie. Die Bildung der Regierung Dollfuß I im Mai 1932").

Dieser Gastkommentar gibt ausschließlich die Meinung des betreffenden Autors wieder und muss sich nicht zwangsläufig mit jener der Redaktion der "Wiener Zeitung" decken.