)
Erst eine Pandemie zeigt den Wert von Bildung, Betreuung, Freizeit und Erholung, aber auch Disziplin und Leistungsdenken.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 3 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Die Corona-Zeit setzt uns allen zu, so auch Kindern und Jugendlichen. Allerdings zeigt diese Zeit auch umfassend, was alles Kinder und Jugendliche betrifft. Diese Themen sind eine Querschnittmaterie, die über viele Ministerien verteilt ist. So traurig es ist, zeigt erst eine Pandemie, welchen Wert Bildung, Betreuung, Freizeit und Erholung, aber auch Disziplin und Leistungsdenken tatsächlich haben. Was zählt, sind Freundschaften und Bezugspersonen und die damit verbundene Qualität der sozialen Beziehungen. Was passiert, wenn dieses soziale Netz zerreißt? René Spitz beforschte das Phänomen des Hospitalismus bei Kindern und Jugendlichen. Betreut von Pflegepersonal, das einfach nur seine Arbeit machte, zeigten Kinder psychische Störungen aus Mangel an sozialer Zuwendung. Monotone Schaukelbewegungen sind charakteristisch für dieses Verhalten.
Allerdings geht es hier nicht um Ferndiagnosen oder schnelle Behebung verursachter Schäden. Wir müssen erst genauer hinsehen. Es ist nicht so, dass Kinder aus Faulheit depressiv werden. Es ist auch nicht so, dass Kinder lügen, wenn sie sagen, es gehe ihnen schlecht. Und es ist auch nicht so, dass Kinder sich in nichts auskennen und sich nicht im Griff haben würden. Das ließe sich weiter fortsetzen mit Aspekten, die sich in der Perspektive der Erwachsenen allzu leicht einschleichen. Kinder wollen und müssen gehört werden. Sie sind Experten für ihr Erleben. Auch mir steht es nicht zu, über ihr Wohlbefinden fachzusimpeln. Wie wäre es damit, ihnen endlich mehr Platz in der Berichterstattung zu geben? Zum Beispiel statt des tausendsten Fotos einer Pressekonferenz zu zeigen, einen Zeichenaufruf zu machen, um ihre prägendsten Corona-Erfahrungen zu artikulieren und zu verarbeiten? Oder Freundschaftsbriefe zu schreiben und im Geocaching finden zu lassen?
Die Schule als eine Agenda, die mit Kindern und Jugendlichen stark assoziiert wird, genießt derzeit eine Aufmerksamkeit wie schon lange nicht mehr. Schulen offenhalten oder schließen? Ist Homeschooling eine gute Alternative zum Unterricht? Auch hier zeigt die Pandemie, was an der Bildung und folglich am Bildungsauftrag der Schule unverzichtbar ist. Dies ist der integrative Zweck: dass Kinder mit anderen auskommen lernen. Sie führen Aushandlungs-, Auseinandersetzungs- und Bildungsprozesse in einem komplexen Zusammenspiel, dessen Anstoß der Unterricht ist. Dieses Lernen lässt sich nicht simulieren, schon gar nicht in Form von Homeschooling. Nicht einfach nur, weil die Eltern keine Lehrpersonen mit professioneller Ausbildung sind.
Der Staat hat sich dank erst kürzlich gefeierter Kinderrechte zur Gewährleistung eines Bildungssystems verpflichtet, das die Persönlichkeit jedes Kindes zur Entfaltung bringt. Die Verschiebung dieser Verantwortung bedeutet, dass ein Kind nicht vergesellschaftet werden muss, ohne dass Konsequenzen drohen würden. Schule verstanden als Ort, an dem Schüler aus unterschiedlichen Familien zusammenkommen, hat einen sozialisatorischen Auftrag, den sie dann nicht erfüllen kann. Wer dort nicht ist, fehlt - eben auch sozial.