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Was ist der Traum von der häuslichen Idylle?

Von Isolde Charim

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"Schneewittchen-Fieber" oder neuer Feminismus.


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Was ist das, wenn junge Frauen heute wieder von häuslicher Idylle träumen? Ist es, wie etwa Angelika Hager in ihrem neuen Buch meint, ein Fall von "Schneewittchen-Fieber" - ein Rückschritt hinter die hart erkämpften Errungenschaften der Frauenemanzipation? Oder ist es vielmehr ein fortgeschrittener Feminismus, wie etwa Saskia Jungnikl kürzlich meinte - nicht ein Verrat am alten Feminismus, sondern nur eine Loslösung von dessen Rollenbildern? Feminismus heute bedeute nicht, in der Männerwelt bestehen zu müssen. Heute ist es nicht mehr nötig, den Trampelpfaden, die die Alice Schwarzers dieser Welt in den Männerdschungel geschlagen haben, zu folgen. Frauen lassen sich nicht mehr vorschreiben, wie ihr glückliches Leben auszusehen habe - weder von patriarchalen noch von feministischen Vorstellungen.

Was für Hager der "Schneewittchen"-
Backlash ist, ist für Jungnikl das Grundrecht der Frauen, "ihr Leben nach ihren Vorstellungen zu gestalten, ohne sich rechtfertigen zu müssen".

Ulrich Beck, der deutsche Soziologe, hat dieser Rede vom "eigenen Leben" ein ganzes Buch gewidmet. Es gibt, schreibt er, in der westlichen Welt "wohl kaum einen verbreiteteren Wunsch als den, ein eigenes Leben zu führen". Das sei es, was die Leute wirklich bewegt. Zugleich wollen aber unendlich viele Menschen in vielen Ländern ihr Leben selbst in die Hand nehmen. "Alles vollzieht sich", so Beck, "in den Kostümen des Persönlichen und Individuellen" - und doch ist dieses Pochen, dieses Beharren auf dem ganz Eigenen aber ein "Massenaufbruch".

Das eigene Leben ist also heute eine kollektive Erfahrung, vielleicht die letzte, die wir wirklich teilen. Ein eigenes Leben führen ist die paradoxe Form, in der wir uns heute in die Gesellschaft einfügen. Denn das eigene Leben ist eine Vorgabe, eine Verpflichtung - und nicht einfach nur eine selbstbewusste freie Wahl. Wir wählen nicht, ein eigenes, selbst erfundenes Leben zu leben in dem Sinne, dass wir uns auch für ein anderes, ein vorgefertigtes Leben entscheiden könnten. Wir sind vielmehr zu dieser Form von Eigenständigkeit gezwungen. Vor allem Frauen.

Was dieses erzwungene eigene Leben von traditionellen Biographien unterscheidet, ist - so wieder der Soziologe - die "Selbstorganisation". Eine durchaus prekäre Angelegenheit. "Manchmal muss nur die Oma, die die Kinder hütet, ausfallen und die windigen Konstruktionen des eigenen Lebens brechen in sich zusammen." Doch wenn man das eigene Leben als Verheißung versteht und nicht als Last, dann ist es eine Leerstelle, die jede Frau selbst füllen kann. Aber wie? Nun, die Zurückweisung der weiblichen Normal-Biographie - sowohl der patriarchalen als auch der alt-feministischen - bedeutet zunächst: Das eigene Leben der Frauen ist vor allem eines, es ist enttraditionalisiert. Das bedeutet nicht, dass Traditionen keine Rolle spielen. Ein eigenes Leben bedeutet für Frauen, dass sie Traditionen erfinden müssen. Diese stehen heute nicht mehr bereit. Und was dabei herauskommt, sieht oft aus wie "die Idylle - Omas Apfelkuchen und Vergissmeinnicht". Diese hat heute Hochkonjunktur. Und ob das nun "Schneewittchen-Fieber" oder weibliches Grundrecht ist - diese Idylle ist nicht mehr die alte. Es gibt keine Rückkehr ins patriarchale Paradies.