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Was ist der wahre Geist des Konzils?

Von Hannes M. Bichler

Gastkommentare

Wenn Priester-, Theologen- oder Laien-Initiativen vom "Geist des Konzils" zu sprechen beginnen, ist Vorsicht angesagt. Kaum ein Begriff wurde seit dem Fest Mariä Empfängnis 1965 so strapaziert und missbräuchlich verwendet. Viele haben in Theorie und Praxis in etlichen Bereichen - sei es aus Unkenntnis oder Ablehnung - selbst den Boden des Konzils verlassen und die Zustimmung versagt, stehen also eigentlich auf gleicher Stufe mit der Pius-Bruderschaft. Grotesk, aber wahr.


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Papst Johannes XXIII. brachte bei der Eröffnung des Konzils deutlich zum Ausdruck, dass eine gewisse Aktualisierung dogmatischer Sätze im Sinne ihrer Orientierung auf das Verständnis der Gegenwart notwendig sei. Denn das eine sei das ewige Dogma, die bleibende Wahrheit, ein anderes die Ausdrucksweise der jeweiligen Zeit. Es war also in keiner Weise die Absicht, die Kirche neu zu erfinden, auch wenn später und bis heute von verschiedenster Seite versucht wurde und wird, dies so zu interpretieren. Und darin liegt wohl der deutlichste Auffassungsunterschied. Wobei es ein Konzil von vielen war und man es schon allein deshalb als in der Kontinuität stehend betrachten muss.

Das Lehramt der Kirche - das die genannten Initiativen an und für sich ersetzen wollen - sieht diejenigen den Boden des Konzils verlassen, die den "Geist des Konzils" so interpretieren, die traditionelle Kirchenlehre in den Konzilsdokumenten wie "nicht geschrieben" zu lesen. Als "Geist des Konzils", im Sinne Obengenannter, ist daher wohl weniger das Konzil selbst, sondern vielmehr die Eigendynamik zu verstehen, die sich noch während des Konzils entwickelte und deren verschiedenste, oftmals positive, oft auch skurrile Auswüchse bis heute anhalten.

Für jeden Katholiken sichtbar wurden die durchaus gewünschten Entwicklungen wie auch die teils krassen Fehlentwicklungen in den Kirchen und in den Gottesdiensten. Letztere, in der Prägung als "Liturgie(n) von unten", kann man durchaus als nach und nach installierte Eigenmächtigkeiten von Klerus und Kirchenvolk bezeichnen, die sicher mit allem, nur nicht mit dem Konzil zu begründen sind.

Geht es nur nach der Umsetzung, muss man das Konzil in jenen Bereichen als gescheitert ansehen, in denen es zwar umgesetzt wurde, nur eben nicht im Sinne des Konzils. Niemand - außer vielleicht der Pius-Bruderschaft, und selbst die spricht nun von "Auffassungsunterschieden" - will ernsthaft hinter das Konzil zurück. Und das ausgerechnet Benedikt XVI. - der am Konzil nicht gerade unbeteiligt war - zu unterstellen, zeugt von gewaltigem Wissensdefizit oder böswilliger Absicht.

Grundlage des gegenseitigen Verständnisses muss sein, zuerst einmal auf der Basis des Konzils aufeinander zuzugehen. Das erwartet man von den "Traditionalisten", muss es aber auch von den "Fortschrittlichen" endlich einfordern.