Großveranstaltungen sind Sportfeste, und alle spielen mit. Da wundert es nicht, dass Merkel nun doch das Edelmaskottchen gibt.
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Die heiße Phase der Euro beginnt erst jetzt so richtig, doch Erkenntnisse hat sie schon so einige gebracht: Etwa dass England auch ohne David Beckham kein Elfmeterschießen gewinnen kann, dass die Großen lieber unter sich sind, die Kluft zwischen ihnen und dem Rest größer statt kleiner wird und Österreich im Wesentlichen nichts hier verloren hätte. Gut, Letzteres hat man sich eh schon vorher irgendwie denken können.
Dank Nicklas Bendtner und seiner Unterbekleidung hat man jetzt auch die Bestätigung, dass ein Verstoß gegen die Werberichtlinien für die Uefa ein schwereres Vergehen ist, als es rassistische Fangesänge sind. Dass der Wettfirma, deren Schriftzug am entblößten Bund seiner Unterhose prangte, durch die Aufregung darüber noch mehr ungeahnte Aufmerksamkeit zuteil wurde, ist nur ein Detail am Rande. Aber was soll’s, die Dänen und ihr aufmüpfiger Werbeexhibitionist sind eh schon längst weg.
Ebenfalls kein Thema mehr ist offenbar die Menschenrechtslage in der Ukraine, und an der hat sich nichts verändert. War die Aufregung um die Haftbedingungen der Oppositionspolitikerin Julia Timoschenko im Speziellen und die politische Entwicklung im Gastgeberland im Allgemeinen in den Wochen vor der Euro noch groß, scheint das alles keine Rolle mehr zu spielen, sobald der Ball rollt.
Die Fußballer ("Wir sind hier, um zu spielen, nicht um Politik zu betreiben") hüllen sich trotz gelegentlicher anderslautender Ankündigungen in Schweigen, und abgesehen von ein paar vereinzelten Demonstrationen kommt diese Thematik auch sonst im öffentlichen Diskurs nicht mehr vor. Nun hat also Angela Merkel, aus deren Kreisen vor der EM noch verkündet worden war, sie werde nicht neben dem ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch Platz nehmen, solange sich nichts ändert, angekündigt, die deutsche Mannschaft doch im Falle eines Finaleinzugs im Stadion von Kiew anzufeuern. Die Bilder vom jubilierenden Edelmaskottchen sind schließlich wertvoller als die teuerste Wahlkampfkampagne, da kann man schon einmal über andere Dinge hinwegsehen.
Natürlich ist ein Besuch der Euro und der Ukraine legitim. Wahrscheinlich würde sich eh - möglicher Boykott hin oder her - an den Zuständen nichts ändern. Das hat es durch eine Sportveranstaltung noch selten, schlag nach bei Olympia 2008 in China. Großveranstaltungen wie die Euro und eben auch Olympia sind in erster Linie Sportfeste, die durch nichts gestört werden sollen. Und alle spielen mit. Das ist keine neue Erkenntnis, aber sie erfährt eindrucksvoll ihre Bestätigung. Das Getue im Vorfeld wirkt vor diesem Hintergrund allerdings auch ein bisschen aufgesetzt.