Zum Hauptinhalt springen

Was ist eine Regierung?

Von Reinhard Göweil

Politik
© fotolia/shoot4u

Analyse - Minister entscheiden gerne nach parteipolitischen Präferenzen, das wird zunehmend zum Problem.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 8 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Wien. Die Bundesregierung ist ein sogenanntes Kollegialorgan. Sie entscheidet im Ministerrat immer nur einstimmig. Das führt dazu, dass Gesetzesentwürfe ohne die Zustimmung aller Minister nicht an den Nationalrat weitergeleitet werden. Da in Österreich - im Gegensatz zu Deutschland - der Bundeskanzler keine Richtlinienkompetenz hat, werden Entcheidungen von Ministern, die in ihrem eigenen Ermessen liegen, immer wieder nach parteipolitischen Präferenzen gefällt - was nicht immer zu einer stimmigen Strategie führt.

Vollends kompliziert kann das bei EU-Entscheidungen werden - diese Woche brachte so ein Beispiel. Da kritisierten die Grünen, dass Österreich viel zu wenig gegen die Steuervermeidungs-Konstrukte von großen Multis unternimmt. Der neue Bundeskanzler und SPÖ-Obmann Christian Kern sprach sich Ende Mai für den Kampf gegen Steuerflucht aus - auch steuerliche Gerechtigkeit müsse sein. Im Juni blockierte das österreichische Finanzministerium beim Ecofin, dem Rat der Finanzminister, den Plan der EU-Kommission, zu mehr Steuerwahrheit zu kommen, indem die nationalen Umsätze gemeldet werden.

Die Grünen rechnen hier mit einem Steuerentfall für Österreich von zwölf Milliarden Euro. Ihr Beispiel war Google. Der Internetkonzern setzte (mit Werbeerlösen) in Österreich etwa 140 Millionen Euro um, die Steuerleistung lag bei 126.000 Euro. Das liegt vor allem daran, dass die Werbeerlöse über eine Google-Tochter in Irland laufen, der offizielle Österreich-Umsatz wird so auf knapp über sechs Millionen Euro reduziert.

Starbucks Austria weist 2014 814 Euro Steuerleistung aus

Noch ärger verhält es sich bei Starbucks. Deren Österreich-Gesellschaft setzte 2014 17,2 Millionen Euro um. Über "internationale Verrechnungen", entweder in Form von Krediten von anderen Starbucks-Firmen oder in Form von Lizenz-Zahlungen, ergibt sich ein Jahresverlust mehr als einer Million. Fazit: 2014 weist die Gewinn-und-Verlust-Rechung der Starbucks Coffee Austria GmbH. eine Steuerleistung von 814 Euro aus. Davon können lokale Kaffeehaus-Betreiber nur träumen - von der Registrierkasse ganz zu schweigen.

Ähnlich verhält es sich beim Möbel-Konzern Lutz mit Sitz in Wels. Die dazugehörigen Marken gehören einer Lutz-Firma in Malta, dorthin laufen jährlich Lizenzzahlungen. Das reduziert den versteuerbaren Gewinn in Österreich deutlich, in Malta ist der Steuersatz dafür nahe null.

Da es die EU zur Steuerharmonisierung nicht geschafft hat, laufen diese Transaktionen ganz legal ab. Mit Steuergerechtigkeit hat es wenig zu tun.

Wie aber will der Bundeskanzler Christian Kern seiner SPÖ erklären, dass die Republik Österreich in der EU Modelle blockiert, die zu mehr Steuergerechtigkeit führen und die Klein- und Mittelbetriebe ohne solche Fiskalmöglichkeiten benachteiligen?

Ähnliche Entwicklungen gibt es auch innerhalb Österreichs zwischen Bund und Bundesländern. Die Mindestsicherung weist zwischen den Ländern erhebliche Unterschiede aus. Gerade beim Thema Mindestsicherung hat sich ebenfalls gezeigt, dass Bundesländer wie Nieder- und Oberösterreich, deren Landeshauptleute nicht der Kanzlerpartei SPÖ angehören, gemeinsame Wege verlassen beziehungsweise gar nicht erst betreten.

Notorisch ist der Zerfall der sogenannten Exekutive in parteipolitischen Separatismus bei der Bildungspolitik. Gemeinsame Schule der bis 14-Jährigen, moderne Unterrichtsformen und große Schulautonomie - fand bisher nicht statt, weil sich ÖVP-geführte Bundesländer weigern und auch die Minister dieser Partei in der Bundesregierung nicht mitgehen. So weit das Thema Kollegialorgan.

In der Ebene darüber, also der Europäischen Union, hat sich Österreich längst den Ruf erworben, öfters mit mehreren Zungen zu sprechen. Im späten Frühjahr des Vorjahres, als hunderttausende Flüchtlinge auf der Balkanroute unterwegs waren, machte Österreich die Grenze auf. Gleichzeitig stimmte die damalige Innenministerin Mikl-Leitner aber beim EU-Innenministerrat gegen den Plan der EU-Kommission, die Flüchtlinge aliquot auf die Mitgliedsländer aufzuteilen.

Dabei hätte vor allem Österreich größtes Interesse haben müssen, dass diese Flüchtlinge gerecht verteilt werden können.

In einem Österreich, das gelernt hat, dass es eine schwarze und eine rote "Reichshälfte" gibt, regte so was lange Zeit niemand auf. Mittlerweile sind die europäische Integration und die Globalisierung so weit fortgeschritten, dass solche Uneinigkeit zu Zeit und Wohlstandsverlusten führt.

Das Ende eines Systems, das Österreich lange kultivierte?

"Wir erleben das Ende eines Systems", analysierte voestalpine-Chef Wolfgang Eder in einem Presse-Interview im Mai dieses Jahres. Mit Verwalten und Macht Erhalten ist - im wahrsten Sinn des Wortes - kein Staat mehr zu machen.

So gibt es seit 2009 vom Wissenschaftsrat die Empfehlung, die Grundlagenforschung in Österreich stärker zu dotieren und auszubauen. Bundeskanzler Kern erneuerte die Forderung unmittelbar nach Amtsantritt. Da dabei nicht nur Universitäten, sondern auch außeruniversitäre Forschungseinrichtungen betroffen sind, ging diese Forderung jahrelang in festgemauerten ministeriellen und Länder-Strukturen unter. Denn für die Dotierung außeruniversitärer Forschung ist nicht nur das Wirtschafts- und Wissenschaftsministerium zuständig. Da gibt es noch das Finanz-, das Landwirtschafts-, das Sozialministerium sowie die Nationalbank und Fonds in den einzelnen Bundesländern. Abstimmung findet so gut wie keine statt.

Oder die jüngste Debatte um die Zugangsbeschränkung im Informatikstudium der TU Wien. Die SPÖ kritisiert, die ÖVP verteidigt die Maßnahme.

Der "New Deal", auf den sich Kern und Mitterlehner geeinigt zu haben scheinen, müsste also neben konkreten Projekten auch aus Bundes- sowie Landesregierungen ein "Kollegialorgan" machen. Also eine abgestimmte Politik, die nicht nur gemeinsame Vereinbarungen (genannt Koalitionsabkommen) gemeinsam umsetzt, sondern auch logisch schlüssig daher kommt. Dadurch könnten - so Wirtschaftsexperten - mehrere Milliarden Euro jährlich sinnvoller eingesetzt werden. Und wenn von den kolportierten zwölf Milliarden aus "Steuerflucht" nur ein Drittel hereinkommt, könnten Forschung und Bildung mit zusätzlich vier Milliarden dotiert werden.