Meeresspiegel soll bis 2050 um 90 Zentimeter steigen. | Expertin: "Natur kennt keine Gnade." | Wien. "Das Polareis befindet sich endgültig auf dem Rückzug und wird in 20 bis 40 Jahren im Sommer ganz verschwunden sein." Diese Meinung vertrat der Geophysiker Peter Wadhams von der Universität Cambridge am Mittwoch vor Journalisten bei der Generalversammlung der "European Sciences Union" in Wien, die bis Freitag läuft.
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Im Winter, so Wadhams, werde es weiterhin Eis geben, aber deutlich dünneres als bisher, das entsprechend leichter wieder schmelze. Man könne mit Satellitenaufnahmen beweisen, dass das Polareis, vor allem die alten, dicken Schollen, bereits um 40 Prozent zurückgegangen sei. Der Rückgang erfolge zunehmend schneller, zuletzt betrug er gut zehn Prozent pro Dekade. Diese Entwicklung werde so weitergehen, prognostizierte Wadhams.
Dass der weltweite Temperaturanstieg mit dem vermehrten Ausstoß von Treibhausgasen zusammenhänge und ein physikalisches Faktum sei, ist für den Pariser Meteorologen Bernard Legras "klar und leicht messbar". Auch dass menschliches Handeln maßgeblich daran beteiligt sei, hält Legras für unbestreitbar.
Wie bei der Erderwärmung werde es auch bei Schwankungen des Meeresspiegels in den nächsten Jahren große regionale Unterschiede geben, stellten die Ozeanografen fest. Derzeit steigen die Meere im Durchschnitt pro Jahr um etwa drei bis vier Millimeter, sagte David Vaughan vom British Antarctic Survey. Einerseits führe der Anstieg der globalen Temperaturen zu einer Vermehrung der Wassermenge, anderseits füllen die abschmelzenden Landeismassen die Meere auf.
Der Hoffnung, vermehrte Vulkanaktivitäten könnten den Anstieg des Meeresspiegels und der Erderwärmung stoppen oder gar ausgleichen, erteilte Svetlana Jevrejeva vom britischen Proudman Oceanographic Laboratory eine Absage. Von Vulkanausbrüchen wird angenommen, dass sie über Ascheausstoß und Abschattung der Sonne zur Kühlung des Planeten beitragen.
Jevrejeva hat Schätzungen des Weltklimarates über den Anstieg des Meeresspiegels nach oben revidiert. Demnach könnten Meere und Ozeane bis zum Ende des Jahrhunderts um 90 Zentimeter ansteigen. Die kolportierten Gegenspieler des Treibhauseffekts, die Vulkane, würden den Anstieg lediglich um 15 Zentimeter vermindern. "Die Natur kennt in dieser Hinsicht keine Gnade", sagte Jevrejeva.
Eyjafjalla und Haiti:Lektionen gelernt
Hätte man nach dem Ausbruch des isländischen Vulkans Eyjafjalla verlässliche Grenzwerte für die Auswirkungen von Vulkanasche auf Flugzeugtriebwerke gehabt, hätte man sich einen guten Teil der Luftraum-Sperren gespart. Das betonte der aus Österreich stammende Meteorologe Andreas Stohl vom Norwegischen Institute for Air Research nahe Oslo gegenüber der Nachrichtenagentur Apa.
Die Kritik der Luftfahrt-Industrie, dass solche Entscheidungen auf der realen Situation beruhen müssen und nicht auf theoretischen Modellen, hält er jedoch für "völligen Unsinn". Denn es existieren nur wenige quantitative Messungen über die Konzentration der Asche in den Luftschichten. Dennoch hätten nicht alle Flieger am Boden bleiben müssen: Stohl weist darauf hin, dass sich im Laufe der Luftraumsperren die vorgegebenen Grenzwerte um den Faktor zehn geändert hätten. Man könne also davon ausgehen, dass derart hohe Werte nur über einem kleinen Teil Europas erreicht wurden.
Im Nachhinein ist man immer klüger. Das bezeugte auch Wasily Titow vom Pacific Environmental Laboratory in Seattle. Weil die chilenischen Stadt Concepcion regelmäßig Erdbeben erleidet, wurden dort über die Jahre seismische Daten präzise analysiert und genau vorhergesagt. Beim Erdbeben und Tsunami im Februar starben daher 500 Menschen im Unterschied zu 230.000 beim schwächeren Erdbeben in Haiti im Jänner. "Die Kommunikation zwischen der Wissenschaft und der Politik funktionierte sehr schlecht. Das ist eine Lektion, die wir gelernt haben", so Titow.