Es ist noch nicht lange her, da lag die wirtschaftliche Dynamik der USA deutlich über jener Europas, und dementsprechend war die Arbeitslosenrate dort wesentlich niedriger. Zahlreiche Erklärungen wurden dafür angeboten. Europa sei noch immer kein einheitlicher Wirtschaftsraum, ein hoch entwickelter Kapitalmarkt sorge in den USA für eine effizientere Unternehmensfinanzierung und der Arbeitsmarkt sei wesentlich weniger reguliert. "Entrepreneurship" sei viel stärker ausgeprägt, auf die Wirtschaft orientierte Spitzenuniversitäten sorgten für eine höhere Innovationsrate und der Sektor hochentwickelter, wirtschaftsnaher Dienstleistungen schaffe höhere Wertschöpfung als der in Europa noch relativ große Industriesektor.
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Und nun das: Im Gegensatz zu Deutschland oder Österreich, aber auch den skandinavischen Staaten, überwinden die USA die Wirtschaftskrise nur langsam, und der lahme Aufschwung reicht nicht aus, die Arbeitslosenrate von fast 10 Prozent abzusenken. Und das, obwohl das staatliche Krisenbekämpfungsprogramm viel umfangreicher war als das der EU-Länder.
Für die Gründe der augenblicklich und möglicherweise auch längerfristig unbefriedigenden wirtschaftlichen Situation der USA gibt es keine Patenterklärung. Zu denken geben muss die rasante Verschlechterung der Budgetsituation von einem Überschuss im Jahr 2000 zu einem Defizit von gut 10 Prozent des BIP, ebenso die Nullsparquote der privaten Haushalte zu Krisenbeginn, deren Korrektur jetzt naturgemäß die Konsumnachfrage dämpft. Dazu kam die staatlich geförderte, leichtfertige Vergabe von Wohnbaukrediten, die im Gefolge der Immobilienkrise zur Zahlungsunfähigkeit einer großen Zahl von Kreditnehmern führte.
Gleichzeitig bewirkte die Krise einen dramatischen Beschäftigungseinbruch in der Bauwirtschaft. Vom Importboom Chinas und anderer Schwellenländer können die weitgehend entindustrialisierten USA viel weniger profitieren als europäische Länder. Und das alles vor dem Hintergrund einer teilweise veralteten Energie- und Verkehrsinfrastruktur.
Wahrscheinlich bedarf es in den USA auch einer Bewusstseinsänderung. Hierzulande gilt es beinahe als unanständig, Gewinne zu erwirtschaften, obwohl wir einen Großteil unseres Wohlstands gerade diesem Streben verdanken. In den USA fehlen dafür wirksame Rahmenbedingungen, die das Gewinnstreben in gesamtwirtschaftlich und gesellschaftlich nachhaltige Bahnen lenken.
Die USA sind immer für nationale Kraftanstrengungen gut, und es wäre auch in unserem Interesse, dass eine solche rasch gelingt. Die aktuellen politischen Rahmenbedingungen sind dafür leider alles andere als zuträglich.
Erhard Fürst war viele Jahre Leiter der Abteilung Industriepolitik und Wirtschaft in der Industriellenvereinigung.