In der Causa dritte Piste habe der Verfassungsgerichtshof ein Staatsziel aufgesplittert, sagt Juristin Wagner.
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Wien. Zuerst ging es nur um eine Umweltverträglichkeitsprüfung. Das ist jetzt fast zehn Jahre her. Mit dem positiven Bescheid war die Sache aber noch lange nicht besiegelt. Ganz im Gegenteil. Es geht um die dritte Piste am Flughafen Wien-Schwechat, und mit dem positiven Bescheid 2012 begann ein Zickzack-Flug zwischen "Okay" und "endgültigem Aus" für deren Bau. Zuletzt landete das Projekt beim Verfassungsgerichtshof (VfGH): Im Juni dieses Jahres hob dieser das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) gegen den Bau der dritten Piste auf.
Er gab damit einer Beschwerde des Flughafens Wien und des Landes Niederösterreichs statt, die sich gegen das abschlägige Erkenntnis des BVwG gerichtet hatte. Die Rechtssache geht nun zurück an das BVwG, das eine neuerliche Entscheidung treffen muss.
Öffentliche Interessen abwägen
Eine ganz zentrale Rolle spielt dabei eine Staatszielbestimmung aus 1984, wonach sich Österreich zum umfassenden Umweltschutz bekennt. Aus Sicht der Juristin Erika Wagner vom Institut für Umweltrecht und Zivilrecht an der Johannes Kepler Universität in Linz scheint sich der VfGH in der Causa dritte Piste von der bisher gefestigten und gebotenen Rechtssprechung distanziert zu haben. Anders als in früheren Causen, als die Judikatur des VfGH dem Staatsziel Umweltschutz entscheidungsrelevante Bedeutung oder zumindest erhebliches Gewicht in Interessenabwägungen zugesprochen habe, habe es diesmal das Staatsziel aufgesplittert. "Das ist der falsche Weg", sagte Wagner am Mittwochabend auf Einladung des "Club of Vienna" in der Kommunalkredit Austria.
Konkret geht es darum, dass das BVwG laut VfGH-Richter bei seiner Entscheidung vor allem den Klimaschutz und den Bodenverbrauch in einer verfassungswidrigen Weise in seine Interessenabwägung einbezogen habe. Der VfGH entschied, dass öffentliche Interessen zwar gegeneinander abzuwägen seien, ein "absoluter Vorrang von Umweltschutzinteressen gegenüber anderen" aus der verfassungsrechtlichen Bestimmung zum Umweltschutz (Paragraf 3 BVG Nachhaltigkeit) aber nicht ableitbar sei.
Detail am Rande: SPÖ und ÖVP hatten bereits nach dem negativen Bescheid des BVwG eine neue Staatszielbestimmung zur Verankerung des Wirtschaftsstandortes in der Verfassung gefordert, um sie dem Staatsziel des Umweltschutzes entgegenzustellen. Die FPÖ wollte auch mitgehen - die SPÖ rückte jedoch in letzter Minute vom eigenen Initiativantrag wieder ab.
Wagner stellt sich nun die Frage: "Was kann dieses Staatsziel wirklich?" Oder weitergedacht: Welche Folgen hat es, wenn in einfachgesetzlichen Interessenabwägungen verfassungsrechtliche Staatszielbestimmungen keinen Einlass finden? Weitere Staatszielbestimmungen neben jener des Umweltschutzes sind etwa die Gleichbehandlung von Mann und Frau oder Bildung.
"Gesetzgeber ist gefordert"
In der Causa dritte Piste habe man das Staatsziel ausgehöhlt, sagt Wagner. Die ursprüngliche Herangehensweise, die Verfassung ideologiefrei und als strenge Doktrin zu betrachten, habe sich gewandelt.
Daher sei nun der Gesetzgeber gefordert, so Wagner, Maßnahmen zu ergreifen. Bezüglich Umweltschutz könnte das zum Beispiel durch einen Umbau der Rechtsordnung und der Materiengesetze hin in Richtung Klimaschutz passieren. Denn Tatsache sei, dass es einen Weltklimavertrag gibt, wonach die Erderwärmung bis 2050 auf durchschnittlich 1,5 bis 2,0 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen ist.
Noch vor wenigen Jahren haben Staatszielbestimmungen bei Bauprojekten wie jenes der dritten Piste eine eher untergeordnete Rolle gespielt. Früher trafen diese Entscheidungen Behörden im Einflussbereich der Politik. Erst mit der Reform der Verwaltungsgerichtsbarkeit, die 2014 in Kraft trat, sind Verwaltungsgerichte dafür zuständig, die auf Basis der Gesetze entscheiden. Das BVwG wurde ins Leben gerufen.
Bei einigen Entscheidungen kam aber schon vorher das Staatsziel Umweltschutz zum Tragen. 1990 etwa, als es um Nachtfahrverbote ging, die laut VfGH durch dieses gerechtfertigt sind (VfGH 8. 10. 1990, B 123/90; B 426/90). Die Genehmigung des Ausbaus der Hochleistungsstrecke von Wien nach Salzburg wurde indes 2003 für verfassungskonform erklärt, weil es hier keinen absoluten Vorrang des Umweltschutzes gab, wie es hieß (VfGH 10. 10. 2003, G 212/02).