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Viele Eltern nehmen sich zu wenig Zeit für ihre Kinder. | Fehlen bestimmte Betreuungsleistungen, treten Schäden ein. | Gmunden. Die Lebenswelt der heutigen Kinder hat sich im Vergleich zu der ihrer Eltern und Großeltern grundlegend geändert.
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Viele Eltern haben oder nehmen sich wenig Zeit für ihre Kinder. Eine Minderheit von 15 bis 20 Prozent verweigert Erziehung weitestgehend.
Vielen Eltern wurde selbst keine "Familienkultur" vermittelt, d.h. ihr Repertoire an Erziehungskompetenz, an Spielangeboten, an gemeinsamen Unternehmungen mit dem Kind ist eher schwach.
Die Medienangebote von Satelliten-TV, Video, DVD, Spielkonsolen etc. haben die Kinderzimmer und das Spiel der Kinder fundamental verändert.
Wenn wir realistisch den Entwicklungsprozess eines Kindes beachten, sind zumindest die folgenden Erziehungs- und Betreuungsleistungen zu erbringen. Wenn sie fehlen stellen sich Schäden beim Kind ein - seien es Verhaltensauffälligkeiten oder manifeste psychische, soziale oder intellektuelle Schäden.
Unbestritten ist, dass ein Kind vor allem in den ersten Lebensjahren stabile Bezugspersonen braucht, um "Urvertrauen", d.h. eine Grundhaltung von Weltvertrauen, Offenheit und Interessiertheit an der Welt und an den Menschen zu entwickeln. Dafür muss es Geborgenheit, Zuverlässigkeit und Wärme erleben. Das muss nicht ausschließlich die Mutter bieten. Erforderlich ist aber Stabilität vertrauter Pflegepersonen. Durchaus kann auch eine Kombination von Mutter, Vater und Tagesmutter, Großmutter etc. diese Geborgenheit bieten.
Ein Kind braucht Geschichten, Märchen und Erzählungen, um sich in andere Schicksale einfühlen zu lernen, aber auch um Lebenskonzepte und Problembewältigungsstrategien kennen zu lernen. In Märchen und Geschichten erlernen Kinder Mitgefühl und Mitleid. Sie können sich mit den literarischen Figuren identifizieren und lernen Strategien der Problembewältigung, des Problemausstiegs, des Umgangs mit anderen etc.. Und diese Geschichten, vor allem wenn sie von den Eltern am Abend am Bett vorgelesen und erzählt werden, helfen beim Schlaf. Der Schlaf eines Kindes verläuft ganz anders, wenn es vom Fernsehen direkt ins Bett geht oder wenn ihm von einem Elternteil noch eine Geschichte vorgelesen oder erzählt wird. Das Kind schläft ruhiger.
Erfolgserlebnisse
Ein Kind braucht Bewegung. Jedem Kind wohnt ein natürlicher Bewegungs- und Entdeckungstrieb inne. Jedes Kind muss spüren können, wie sich klettern, rollen, balancieren, hüpfen, laufen, trampeln und schleichen anfühlt. Und es muss diese Bewegungen ausprobieren können, um sie situationsadäquat koordinieren zu lernen.
Zur Entwicklung des Selbstbewusstseins brauchen Kinder alters- und entwicklungsgemäße Erfolgserlebnisse. Es braucht Zeit und Hinwendung zum Kind, um ihm etwas beizubringen und ihm dadurch die Möglichkeit zu geben, etwas zu können, was es dann voll Freude und Begeisterung dem anderen Elternteil, den Großeltern etc. zeigen kann. Ein Kind braucht Erfolgserlebnisse. Das Selbstwertgefühl entwickelt sich nicht aus einer Rhetorik, sondern aus dem Erlebnis, etwas zu können.
Ein Kind braucht gleichaltrige Freunde. Es muss lernen, sich auf andere einzustellen, mit anderen ein Einvernehmen herzustellen, sein eigenes Spiel auf das eines Partners einzustellen etc.. Einzelkinder, die kein Angebot an Gleichaltrigen haben, sind gefährdet, Beziehungsstörungen zu entwickeln. Hier ist der Kindergarten ein überaus wertvolles Angebot.
Ohne Frage braucht ein Kind aber auch Führung und Grenzen. Das Leben der Menschen verläuft innerhalb von Gemeinschaften, in denen Rücksichtnahme und Regeln das Leben bestimmen. Aber auch die Natur stellt Anforderungen und Grenzen. Der Umgang mit ihr muss gelernt und erfahren werden. Unfallvorbeugung entsteht nicht durch das Wegsperren aller Gefahren, sondern durch das Erlernen des Umgangs mit der Natur und den realen Gegebenheiten.
Viele Schiunfälle passieren dadurch, dass Kinder mit völligem Realitätsverlust meinen, ebenso gut Schifahren zu können, wie sie es im Fernsehen sehen. Die Wirklichkeit, auf die Kinder vorbereitet werden müssen, ist eine Wirklichkeit, in die man eingeführt und eintrainiert werden muss. Wo Eltern das Kind nicht trainieren und ihm nicht zu einer realistischen Einschätzung seiner Leistungen und seines Entwicklungsstands verhelfen, schaden sie dem Kind.
Erziehungspflicht
Durchaus ist die öffentliche Erziehung in der Lage, manche Entwicklungspotentiale der Kinder zu fördern. Wir werden aber nie auf die Beziehungs- und Erziehungsleistungen der Eltern verzichten können. Im Sinne eines Schutzes des Schwächeren, in unserem Fall des Kindes, wird es auch so etwas geben müssen wie eine Erziehungspflicht der Eltern, und - wo diese nicht leistbar erscheint - gesellschaftliche, d.h. wahrscheinlich kommunale Stützstrukturen. Möglicherweise könnten die neuen Angebote der Nachmittagsbetreuung in diesem Sinn genutzt werden.
Dr. Erich Brunmayr ist Sozialforscher in St. Pölten und Gmunden.
Mathilde Stockinger ist Betreuungslehrerin in Gmunden.