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Was kommt nach Saddam Hussein?

Von Walter Hämmerle

Politik

Unabhängig davon, ob es nun zu einem Militärschlag der USA gegen den Irak kommen wird oder nicht, zumindest eines dürfte weitgehend zweifelsfrei feststehen: Die Tage Saddam Husseins an den Schalthebeln der Macht sind gezählt. Aber was kommt dann? Die möglichen Szenarien reichen von einem neuen starken Mann, über den Ausbruch eines blutigen Bürgerkrieges, eine Militärverwaltung durch die USA bis hin zum Wunschbild eines stabilen und zugleich demokratischen Regimes an den Ufern von Euphrat und Tigris. Die "Wiener Zeitung" sprach mit dem Orientalisten Walter Posch von der Landesverteidigungsakademie über die verschiedenen Möglichkeiten einer Post-Saddam-Ordnung im Irak.


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Gemeinhin sollte man sich hüten, das Fell des Bären zu verteilen, bevor er erlegt ist. Gerade im Falle Saddam Husseins empfiehlt es sich, diese alte Regel, die einen vor unangebrachtem Wunschdenken und krasser Verkennung der Realitäten bewahren helfen soll, zu befolgen: Zu oft schon glaubten Außenstehende Saddam am Ende und ohne weiteren Ausweg. Doch irgendwie ist es ihm bisher noch immer irgendwie gelungen, seinen Kopf im letzten Moment aus der Schlinge zu ziehen.

Meisterstratege zu

eigenen Zwecken

Tatsächlich erwies sich der irakische Diktator als Meisterstratege, wenn es darum ging, gegnerische Koalitionen zum Zwecke des eigenen Machterhalts zu sprengen, erläutert der ausgebildete Orientalist Walter Posch die erstaunliche Stabilität des Regimes in Bagdad. Dass er dabei in der Wahl seiner Mittel nicht zimperlich war und ist, ja selbst vor dem Einsatz von Massenvernichtungswaffen gegen die eigene Bevölkerung nicht zurück schreckte, ist seit langem allgemein bekannt. Heute sind die Machtstrukturen im Irak extrem zentralisiert und auf die Person Saddams hin ausgerichtet: Sämtliche Machtpositionen im Land sind mit ihm persönlich verpflichteten Vertrauensleuten besetzt. Ohne Saddam geht praktisch nichts.

Posch sieht dies als Ergebnis eines kontinuierlich und langfristig angelegten Prozesses, den Saddam bereits Anfang der 60er Jahre im Rahmen der Baath-Partei begann. Dabei erwies er sich auch als erstaunlich flexibel, wenn es die Rahmenbedingungen notwendig machten. So scheute er sich Anfang der 90er Jahre nicht, mit der Ideologie seiner eigenen säkular-nationalistischen Baath-Partei zu brechen, indem er das alte Stammesdenken wieder belebte. Saddam stärkte die Stellung der Stammesführer in der Rechtssprechung und versicherte sich so ihrer Loyalität. Selbst auf den Zug des Islamismus sprang der Machtpragmatiker auf, um diesen für seine eigenen Zwecke zu instrumentalisieren.

Doch auch seine unumstrittenen Fähigkeiten zum Machterhalt dürften nun an die Grenzen ihrer Möglichkeiten angelangt sein: Die USA sind nicht länger gewillt, Saddam an den Schalthebeln der Macht zu dulden und haben sich auf einen Regimewechsel festgelegt. Auch seine jüngeren Allianzen, etwa jene mit den Stämmen oder den religiösen Fundamentalisten, werden Saddam in diesem Fall wohl kaum retten können. Schließlich sind gerade feudale Loyalitäten, die auf Geben und Nehmen beruhen, keine Angelegenheit für die Ewigkeit.

Zahlreiche offene Fragen bei Machtwechsel

Für den Fall eines Regimewechsels müssen jedoch - unabhängig davon, wer nach Saddam herrschen soll - folgende Fragen gelöst werden: Die kurdische Autonomie im Norden und die Rolle der Schiiten im Süden des Landes; die Verhinderung von Racheakten, die in einen unkontrollierbaren Bürgerkrieg münden könnten; der wirtschaftliche Wiederaufbau; und die Stellung der heiligen Stätten in Nadschaf, Kut und Karbala, wovon unmittelbar das Verhältnis zum großen Nachbarn Iran abhängt.

Theoretisch und praktisch sieht Posch vier Szenarien für die Post-Saddam-Ära im Irak als Möglichkeit an: Demokratie und Stabilität, Bürgerkrieg bis hin zum Verfall, "Saddamismus" ohne Saddam sowie eine amerikanische Militärverwaltung.

Der Traum von einer stabilen und starken Regierung, von der eine Demokratisierung und Befriedung der gesamten Region ausgehen könnte, ist zumindest als theoretisches Szenario recht reizvoll. Allerdings gesteht auch Posch ein, dass sich seine Wahrscheinlichkeit in recht engen Grenzen hält.

Der Traum von einer stabilen demokratischen Regierung

Seine Attraktivität liegt für ihn in der Eindämmung des islamischen Fundamentalismus und ihren Auswirkungen auf den Iran. Die heiligen Stätten Nadschaf und Karbala würden wieder zu Zentren der schiitischen Welt werden und auf diese Weise das "Theologiemonopol" der iranischen Theokratie brechen. Die Frage der Vereinbarkeit von Islam und pluralistischer Demokratie ließe sich vor dem Hintergrund eines demokratischen Irak auf einem neuen politischen Niveau diskutieren, ist Posch überzeugt.

Doch zurück zu realistischeren Szenarien für die Zeit nach Saddam Hussein. Eine schwache Regierung, die pro-westlich agiert und sich demokratisch nennt, sieht Posch als eine der denkbar schlechtesten Varianten an. Eine funktionierende Regierung dürfte so wohl kaum möglich sein, das haben die Erfahrungen mit dem kurdischen Regionalparlament anschaulich vor Augen geführt. Ein erster Machtausgleich müsste zwischen Schiiten und Kurden stattfinden, sodann bedürfe es auch der Einbindung der Sunniten. Weiters würden auch Parteien wie die Kommunisten und die verschiedenen Strömungen der herrschenden Baath auf ein deutliches Mitspracherecht pochen, ist Posch überzeugt. Er sieht in einer solchen Konstellation die Gefahr einer "Libanisierung", das heißt die Aufteilung von Machtpositionen nach einem ethnisch-konfessionellen Proporz, dessen Erstarrung leicht in einen Bürgerkrieg münden könnte.

Unruhen, Verteilungskämpfe und schließlich Bürgerkrieg

Eine derart geschwächte Regierung wäre zudem anfällig für die Einflussnahme des Auslandes. Neben den USA würden wohl die Türkei, der Iran und unter Umständen auch Saudi Arabien dieser Versuchung kaum widerstehen können. Das Aufblühen lokaler Herrscher und "warlords" liegen für Posch in der Logik dieses Szenarios, das nur vordergründig die territoriale Einheit des Irak gewährleisten könnte.

Vor allem die Kurden würden in einem solchen Fall auf eine weitgehende Autonomie pochen. Dagegen scheint ein völlig unabhängiges Kurdistan und ein sich daran anschließender Zerfall des Irak weitgehend ausgeschlossen, da diese Entwicklung international als Fanal betrachtet werden würde. Besondere Sprengkraft kommt in Sachen kurdischer Autonomie der Region um die Stadt Kirkuk zu. Diese verfügt nicht nur über enorme Erdölquellen, sondern auch über eine starke turkmenische Minderheit. Würde Kirkuk tatsächlich unter kurdische Kontrolle geraten, wäre der Norden des Landes auch wirtschaftlich weitgehend von der Zentralmacht des Landes unabhängig. Tatsächlich hält Posch Kirkuk "für die weitaus sensibelste Frage, die frühzeitig diskutiert" werden sollte.

"Saddamismus", aber ohne Saddam

Stabilität ist in einer spannungsgeladenen Region wie dem Mittleren und Nahen Osten vor allem für die internationalen Akteure von hohem Wert. Da ist es nahe liegend, die Beibehaltung des Bewährten - die innenpolitische Stabilität des Saddam-Regimes - bei gleichzeitiger Beendigung des Nachteiligen - dessen außenpolitische Unberechenbarkeit und Aggressivität - anzustreben. Als "Saddamismus" ohne Saddam bezeichnet Posch dieses Szenario. Entsprechend entwirft er das Bild eines Militärputsches durch ein gemäßigtes Mitglied der Saddam-Familie oder einen hohen Offizier.

Wenngleich nicht ohne Risiko, so hätte doch ein starker pro-westlich orientierter Mann in Bagdad den Vorteil, die vorhandenen militärischen und polizeilichen Strukturen ohne große Probleme weiterzuführen und - im Falle idealer Bedingungen - in ein demokratisches Regime zu überführen. Vieles spricht dafür, dass es sich hierbei um die bevorzugte Variante der USA handelt. Auch für alle Nachbarstaaten des Irak mit Ausnahme des Iran, der sich kaum mit einem pro-westlichen Machthaber an seiner östlichen Flanke anfreunden könnte, wäre eine solche Übergangslösung zufrieden stellend.

Ein starker Mann dieser Art wäre wohl auch am geeignetsten, allzu blutige Vergeltungsaktionen gegen den verhassten Saddam-Clan der Tikritis aufzufangen. Die große Unbekannte in diesem Szenario, gibt Posch zu bedenken, sei allerdings die Reaktion der Bevölkerung, wenn sie bemerkt, dass es sich hierbei statt um eine Übergangslösung um eine dauerhafte Wiederholung der wohl bekannten Unterdrückung aus der Saddam-Ära handelt.

Rückfall in die Ära des Kolonialismus

Als möglich, wenngleich wenig wünschenswert, bezeichnet Posch die vierte und letzte Variante einer Post-Saddam-Ordnung: Eine amerikanische Militärverwaltung. Sämtliche Gesellschaftsgruppen - von links- bis zu islamistisch-nationalen Kräften - würden sich gegen die USA zusammen schließen und nur eine schmale Schicht von wirtschaftlichen Profiteuren und politischen Günstlingen einen solchen Schritt begrüßen. Die Parallelen zur Zeit der Entkolonialisierung in den 50er Jahren wären unübersehbar. Der Anti-Amerikanismus würde neue, zusätzliche Nahrung erhalten mit unabsehbaren langfristigen Folgen.