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Was nach dem Schock folgt

Von Alexandra Grass

Wissen
Unfallopfer können immer besser betreut werden.
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Nicht nur Zukunftsmusik im Boltzmann-Institut für Traumaforschung.


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Wien. Wer in einem Akut-Operationssaal des Lorenz-Böhler-Unfallkrankenhauses in Wien landet, kann sich sicher sein, mit den neuesten Technologien versorgt zu werden. Das im Haus angesiedelte Ludwig-Boltzmann-Institut für experimentelle und klinische Traumatologie (LBI Trauma) erarbeitet zahlreiche Projekte in Sachen Zukunftsmedizin - manche Bereiche kommen sogar schon zur Anwendung.

Ein Schwerpunkt des Instituts liegt in der Identifizierung, Charakterisierung und Anwendbarkeit neuer Biomarker im Blut, um Diagnosen rechtzeitig ermöglichen zu können. Der Weg führt auch hier zur personalisierten Medizin. Biomarker sind messbare Produkte von Organismen, die als Indikatoren für Krankheiten herangezogen werden können. "Bei einem Traumapatienten muss eine Diagnosefeststellung sehr rasch erfolgen", betont Soheyl Bahrami, Biochemiker im LBI Trauma. So gibt es einen Biomarker, über den die Wahrscheinlichkeit eines Schädel-Hirntraumas bestimmt werden kann.

Infektionen abwenden

Der Biomarker D-Laktat hingegen lässt Schlüsse auf einen möglichen Zusammenbruch der Barriere zwischen Darm und Blutkreislauf zu. Bei einer solchen Komplikation dringen Bakterien, die im Darm angesiedelt sind, aufgrund einer Schädigung der Darmwand durch einen Zelltod - in Folge von Sauerstoffmangel bei Unfallpatienten - in das Blut ein und können innerhalb des Körpers eine Sepsis (Blutvergiftung) auslösen. Die Keime dringen somit nicht von außen in den Körper, sondern verursachen Infektionen quasi vor Ort.

Im Blut ansteigende Werte an dem Immunbotenstoff Interleukin-6 hingegen weisen auf ein akutes Entzündungsgeschehen hin. Das erlaubt eine bessere Planung chirurgischer Eingriffe nach einem Knochenbruch.

Die Bestimmung der Konzentration des Proteins NT-proCNP wiederum könne bereits ein bis zwei Tage im Vorfeld septische Komplikationen vorhersagen, erklärt Bahrami. Der Wissenschafter hofft, mit einer entsprechend möglichen Vorsorgetherapie die Mortalität von derzeit 40 Prozent künftig massiv heruntersetzen zu können.

Blutstatus in fünf Minuten

Bereits in Anwendung ist auch ein Gerät, das innerhalb von nur fünf Minuten den Gerinnungsstatus von Blut messen kann. Aufgrund fehlender Gerinnungstests sei es in der Vergangenheit oftmals zu unnötigen Bluttransfusionstherapien bei Schwerverletzten gekommen, betont Christoph Schlimp, Facharzt für Anästhesie am Unfallkrankenhaus in Klagenfurt. Dieses Verfahren, das derzeit schon in einigen österreichischen Schockräumen eingesetzt wird, ermöglicht eine gezielte, effektive und noch dazu kosteneffiziente Therapie.

Auch die Wundheilung ist für die Traumatologie-Forschung ein großes Thema. Ein Team unter der Leitung des Biochemikers Peter Dungel und des Biophysikers Andrey Kozlov arbeitet an Methoden, mit denen man durch Lichtbestrahlung die Wundheilung ankurbeln kann. Im Labor wollen sie einzelnen Erfahrungsberichten auf den Grund gehen. An Zellkulturen, bei denen man künstlich Schädigungen gesetzt hat, lässt sich der Effekt von Rotlicht oder Blaulicht aus Leuchtdioden genau darstellen.

Bei der Anwendung von Rotlicht kommt es offenbar zu einer Aktivierung der Zellkraftwerke, der Mitochondrien. Das dürfte der Grund sein, warum Reparaturmechanismen dann besser funktionieren. Während rotes Licht tief ins Gewebe dringt, kann mit desinfizierend wirkendem blauen Licht eine bessere Durchblutung der oberen Hautschichten und damit auch eine schnellere Heilung erreicht werden, erklärt Dungel.

Rainer Mittermayr, Leiter der Wundheilungsabteilung des Unfallkrankenhauses Meidling, verwendet die über lange Zeit bei Nierensteinen erfolgreich eingesetzte Stoßwellentherapie zur besseren Wundheilung. Die damit in den Körper eingebrachte mechanische akustische Welle dringt bis in den Zellkern vor und führt schon während der Behandlung zur Schmerzfreiheit.

Während die Therapie in der Unfallchirurgie für eine schnellere Knochenheilung bereits die Methode der Wahl ist, ist sie in der Wundbehandlung noch ein Exot. Große Erfolge erzielten die Wissenschafter auch bereits beim sogenannten diabetischen Fuß und konnten so drohende Amputationen abwenden.

Seidenstränge als Kreuzband

Ein anderes Team mit Andreas Teuschl entwickelt Seidenstränge, die - mit vom Patienten gewonnenen Stammzellen aus Fettgewebe besiedelt - als Ersatz für Knie-Kreuzbänder dienen sollen. Unter der normalen Belastung nach der Operation wandeln sich die Zellen dem Forscher zufolge in Sehnenzellen um. Innerhalb eines Jahres löst sich die Seide auf. Der Einsatz von Seidensträngen im menschlichen Körper ist allerdings noch Zukunftsmusik.

Das LBI Trauma organisiert heuer noch weitere wissenschaftliche Kongresse in Wien. Dazu zählen der Weltkongress für Gewebezüchtung und regenerative Medizin vom 5. bis 8. September und der Europäische Kongress der Vereinigung der Gewebebanken vom 21. bis 23. November.