Analyse: Für Zugeständnisse braucht es frisches Geld aus dem Rettungstopf ESM.
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Brüssel/Washington. Offiziell blieben die EU-Kommission und der Internationale Währungsfonds (IWF) bis kurz vor der Wahl hart: Die Konditionen für die griechischen Hilfspakete liegen auf dem Tisch, daran wird nicht gerüttelt. Hinter den Kulissen ist allen klar: Es wird Verhandlungen geben. Geben müssen. Denn die Griechen schaffen es abermals nicht, die Bedingungen für die Hilfskredite einzuhalten. Obwohl diese zwei Mal gelockert wurden.
"Das Programm ist off-track, nachverhandeln muss man also ohnehin", wird der "Wiener Zeitung" in Brüssel bestätigt. Fiskalisch (bei Einnahmen und Ausgaben) werde Griechenland die Ziele geringfügig verfehlen, bei den verordneten Strukturreformen falle die Abweichung deutlicher aus.
Unabhängig davon, wer nach der Wahl das Gegenüber auf Regierungsseite sei, werde es seitens der Troika aus IWF, EU und Europäischer Zentralbank zu Verhandlungen über Modifikationen im Spar- und Reformkurs kommen. Und es werde "Zuckerl" geben. Klar ist aber aus Kommissionssicht, dass der Spielraum für derartige "sweeteners" eng begrenzt ist - allein schon deshalb, weil die Iren und Portugiesen umgehend dieselben Zugeständnisse einfordern würden.
Auch politisch und finanziell gibt es Grenzen: Es besteht nämlich das reale Risiko, dass der IWF aus dem Hilfsprogramm aussteigt. Der Fonds hat strikte und unaufweichbare Richtlinien, wonach die Programme klar ausfinanziert sein müssen.
Außerdem ist die Bereitschaft von großen IWF-Anteilseignern - wie den USA und Schwellenländern - massiv gesunken, den reichen Europäern ständig beizuspringen. Das Programm in Griechenland ist schon jetzt das größte, das der IWF je finanziert hat. In Washington wird stets betont, die Europäer stünden dafür gerade, wenn neue Finanzlücken auftauchen sollten.
Die Griechen erhalten Zeit
Die realistische Einschätzung lautet somit: Für einzelne Maßnahmen des Reformkurses könnte den Griechen noch mehr Zeit eingeräumt werden. Womöglich auch für die Rückzahlung der Kredite. Schon beim laufenden Programm wurden freilich die Konditionen so abgeschwächt, dass die Kredite teilweise ganz ohne Aufschläge weitergereicht werden.
Das Problem bei allen weiteren Zugeständnissen: "Dann muss neues Geld auf den Tisch - womöglich aus dem dauerhaften Rettungsfonds ESM", heißt es in Brüssel hinter vorgehaltener Hand. Der dauerhafte Stabilitätsmechanismus ESM soll Anfang Juli starten, hängt aber bisher etwa noch im deutschen Bundestag in der Warteschleife.
Sehr wahrscheinlich ist, dass den Griechen Investitionen und eine beschleunigte Finanzierung von Infrastrukturprojekten versprochen werden. Das passt wunderbar zum Wachstumspakt, den Frankreichs Präsident François Hollande fordert, ist aber nicht viel mehr als ein symbolisches Entgegenkommen. Griechenlands künftige Regierung müsste der Bevölkerung wohl mehr präsentieren, um den Rückhalt nicht zu verlieren. Fristerstreckungen, Wachstumsprojekte - alles, was darüber hinaus geht, würde aber aus ökonomischen und politischen Gründen schwierig.
Müssten die internationalen Geldgeber dem radikalen Linken Alexis Tsipras, der den Griechen versprochen hat, das Memorandum (den im Gegenzug für die Hilfskredite von der Troika verordneten Spar- und Reformkurs) zur Gänze zu kippen, nicht sogar härter gegenübertreten als dem Konservativen Antonis Samaras, der die Auflagen, zumindest offiziell, immer mitgetragen hat? Ein Offizieller in Brüssel sieht das erstaunlicherweise eher salopp. Mit Samaras liefen die Verhandlungen wohl leichter; das Gegenüber spiele aber eine geringere Rolle, als es den Anschein habe. "Das ist eher eine Frage der Verhandlungstaktik und Kommunikation."
‚Syriza hat bei Steuern recht"
In Kommissionskreisen sei sehr wohl bemerkt worden, dass sich Tsipras’ radikale Rhetorik in den Wochen nach dem ersten Wahlgang abgeschwächt habe. Von einer Komplettverstaatlichung griechischer Banken sei schon länger nicht mehr die Rede gewesen.
Als Problem werde eher gesehen, dass die Ziele der Links-Allianz Syriza schwer einzuordnen seien: "Das ist ein wilder Haufen ohne jede Regierungserfahrung." Das eröffne aber bei einem Syriza-Wahlsieg womöglich Chancen für eine Expertenregierung, die begrenzt auf einige Jahre das Ruder übernehmen könnte. Es sei schwer abzuschätzen, ob sich Syriza mit einzelnen Schlüsselpositionen zufrieden gäbe.
In einem Punkt liege die Linkskoalition sogar völlig richtig: Die Steuerbasis müsse verbreitert werden - und die Steuern müssten endlich wirklich eingehoben werden. Die Griechen, von denen viele mehr Solidarität aus Europa einfordern, seien nämlich selbst mit ihren Ärmsten nicht solidarisch: Würden alle ehrlich ihre Steuern zahlen, hätte es zum Beispiel gar keine Kürzung der Mindestlöhne gebraucht.
Sollte Tsipras allerdings fordern, die Lohnkürzungen generell wieder rückgängig zu machen, würde eine Einigung nahezu unmöglich. Das würde dem Reformpakt die ökonomische Grundlage entziehen: Weil die Griechen keine eigene Währung abwerten können, müssen sie die Löhne senken, um international wettbewerbsfähig zu werden. Das verlangt das Prinzip der "internen Abwertung", die der IWF verordnet - und ist nicht verhandelbar.
Dass nach dem Schuldenschnitt, den die Banken und privaten Anleihengläubiger akzeptiert haben, auch die Gläubiger des öffentlichen Sektors - allen voran die Europäische Zentralbank - einem weiteren Schuldennachlass für die Griechen zustimmen, hält man in Kommissionskreisen ebenfalls für undenkbar.
Eine andere Tsipras-Forderung könnte sein, die Privatisierungen von Staatsbetrieben abzublasen. Daraus waren im Programm zwar 50 Milliarden Euro an Einnahmen vorgesehen - ins Budget geflossen ist jedoch bis dato so gut wie nichts.
Zum Teil sei der Zustand der Unternehmen so schlecht, dass sie kaum verkäuflich seien, es gebe aber auch große politische Widerstände: Die Staatsbetriebe seien eng mit den politischen Strukturen verbandelt - auch mit Konservativen und Sozialisten, die den Troika-Kurs prinzipiell mitgetragen haben.
Mentalitätswandel ist nötig
Trotz aller Probleme habe Griechenland große Fortschritte gemacht, wird in Brüssel konzediert: Das Staatsdefizit (abzüglich der Zinskosten) bewege sich Richtung null, die Lohnstückkosten als Maß der Wettbewerbsfähigkeit hätten sich verbessert. Das Übergewicht der Importe gegenüber den Exporten, das strukturell für die Schulden mitverantwortlich ist, habe sich zumindest verringert.
Was es in Griechenland nun brauche, sei in Wahrheit aber ein Mentalitätswandel. Der Staat werde von vielen Menschen noch wie unter einer Fremdherrschaft erlebt: "Nach dem Motto: Das sind Leute, die sich bedienen. Bekomme ich selbst die Chance dazu, tue ich es auch. Wenn nicht, gebe ich dem Staat so wenig wie möglich - weil er ohnehin korrupt ist und keine Leistungen bringt."
Die Griechen müssten erkennen, dass die Krise - so hart sie für die Bevölkerung ist - die einmalige Chance sei, dieses System mit Unterstützung von außen aufzubrechen. Harte Reformen blieben den Griechen so oder so nicht erspart; die Landung wäre ohne Zwischenfinanzierung durch die Hilfskredite noch härter.
Was ist mit dem Argument, dass damit nur Zinsen und Kredite bedient werden, dass das Geld also an die Banken geht und nicht bei den Menschen ankommt? Das stimme zwar in gewissem Sinne, wird in Brüssel eingeräumt. Allerdings sei das Geld aus diesen staatlichen Krediten auch einmal ausgegeben worden. "Und Griechenland sollte eigentlich froh sein, dass es das Geld nicht selber aufbringen muss." Allen Griechen müsse klar sein: Es könnte für sie noch viel ärger kommen.