In Wien wird täglich mehr Brot weggeworfen, als in Graz gegessen wird. Das bestätigt, was viele Untersuchungen schon lange zeigen: Wir leben in einer Wegwerfgesellschaft. Der Trend bei Kaufentscheidungen geht dazu, immer häufiger kurzlebige Produkte zu wählen. Haben die Menschen zu viel Geld oder gibt es zu viele zu billige Produkte, deren Wert am Ende nicht am Nutzen, sondern lediglich am Preis festgemacht wird?
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Betrachten wir das Phänomen der Gratiszeitungen, die sich immer stärkerer Beliebtheit erfreuen. Die Konsumenten greifen zu den Gratisprodukten, lesen diese in der U-Bahn und werfen sie dann weg. Sehr oft bleiben diese Blätter in den öffentlichen Verkehrsmitteln liegen, zerfleddern und bieten am Nachmittag ein grauenhaftes Bild für die Verkehrsteilnehmer. Mit den Gratisblättern einher geht ein Verlust an Qualitätsjournalismus.
Die Geschäftsführer dieser Medien handeln gegenüber ihren Redaktionen nach dem Motto "Was nichts kostet, ist nichts wert", also ist auch die Arbeit der Journalisten nichts wert. Daher wird dort nicht nach Journalisten-Kollektivvertrag entlohnt, sondern nach sehr viel billigeren Kollektivverträgen - die Spirale dreht sich ständig nach unten.
Das führt schließlich dazu, dass sich Qualitätszeitungen ebenfalls anpassen und die Flucht in Billig-Kollektivverträge antreten.
Wenn die Menschen nicht bereit sind, zum Beispiel für den Zusatznutzen - in dem Fall einer umfassenderen, hintergründigeren Berichterstattung - zu zahlen, bedeutet das eben in einer Marktwirtschaft das Ende eines Unternehmens - in diesem Fall einer Qualitätszeitung. Oder der Staat greift ein, indem er wünschenswerte Produkte oder Unternehmen fördert. Am Ende zahlt die Gesellschaft - nämlich der Steuerzahler.
Ein anderes Beispiel sind die Billigfluglinien. Dass man um 29 Euro nirgendwo hin fliegen kann, leuchtet sogar schon Volksschulkindern ein. Dass die Menschen solche Angebote gerne annehmen und zu Billigfluglinien wechseln, liegt ebenfalls auf der Hand. Die Folge ist, dass auch große Fluglinien bei den Dumpingpreisen nachziehen und ihre Mitarbeiter drücken. Natürlich ist die AUA nicht wegen der Billigfluglinien fast pleite gegangen, aber ein Beitrag dazu waren sie allemal. Schließlich werden die Betriebsmittel ja nicht billiger, sondern teurer - betrachtet man die Erdölpreise im Verlauf der vergangenen zehn Jahre.
Diese Billig-Manie, die in den vergangenen Jahren um sich greift, führt natürlich auch dazu, dass der Lohn- und Gehaltsdruck ständig steigt, dass die Menschen immer weniger verdienen und daher umso mehr auf Billigprodukte zurückgreifen, die dann wieder sehr teuer - um viel Steuergeld - entsorgt oder erhalten werden müssen.
Bis in die 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts gab es im Nahversorgungsgesetz einen Paragrafen, der den Verkauf von Waren unter dem Einstandspreis verboten hat. Der Verfassungsgerichtshof hat diese Regelung aufgehoben, wegen Eingriffs in die Erwerbsfreiheit. Jetzt wird im Kartellrecht nur marktbeherrschenden Unternehmen verboten, unter dem Einstandspreis zu verkaufen. Es gibt allerdings noch keinen Fall, der auf Basis dieser Bestimmung geführt wurde.
Ändern an diesem Mechanismus - Billigkauf, Verschrottung - kann nur die Gesellschaft etwas. Allerdings, die Gesellschaft gibt es nicht, sondern fast neun Millionen Individuen. Und diese handeln nach den Gesetzen des Marktes.