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Was nun, IS?

Von WZ-Korrespondentin Birgit Svensson

Politik

Die ehemalige IS-Hochburg Mossul ist gefallen. Doch die Terrormiliz wird sich wieder neu aufstellen.


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Mossul. Nachdem Iraks ehemals zweitgrößte Stadt vom IS befreit ist, kommen jetzt immer mehr Einzelheiten über die gut dreijährige Herrschaft der Terrormiliz zutage. Zunächst wird noch nach vermeintlichen Kämpfern gesucht, bevor Bestandsaufnahme gemacht werden kann. Irakische Armee, Polizei und Sondereinheiten durchkämmen derzeit jeden Winkel der völlig zerstörten Stadt. Dabei treffen sie auch auf Verstecke von Waffen, militärischem Gerät, Munitionsfabriken, aber auch Menschen. So sollen offenbar fünf deutsche IS-Anhängerinnen durch irakische Sicherheitskräfte aufgegriffen und verhaftet worden sein. Ein Offizier der irakischen Anti-Terror-Kräfte berichtet von insgesamt 20 Frauen, die in der Altstadt von Mossul festgenommen wurden. Sie hätten sich in einem Tunnelsystem der Terrormiliz versteckt, hätten Waffen und Sprengstoffgürtel bei sich gehabt, um sich zu verteidigen und gegen ihre Verhaftung Widerstand zu leisten. Angeblich soll die gesamte Altstadt im westlichen Teil Mossuls untertunnelt sein.

Es wird also noch etliche Meldungen über vermeintliche IS-Anhänger geben, die sich vor den Regierungstruppen verstecken. Unter den festgenommenen Frauen seien neben den fünf Deutschen auch IS-Anhängerinnen aus Russland, der Türkei, Kanada und Tschetschenien gewesen. Die Nachricht, dass unter den Deutschen auch eine 16-Jährige aus Sachsen sein soll, bestätigt sich bis jetzt nicht. Ein Sprecher der irakischen Anti-Terror-Einheit: "Alle Frauen sind älter als 30 Jahre."

Ein Wettbewerb der Gewalt

Während die Säuberungen in Mossul in vollem Gange sind, muss der irakische Premierminister Haidar al-Abadi einräumen, dass auch seine Truppen Menschenrechtsverletzungen begehen. Videoaufnahmen zeigen, wie Soldaten nach dem Sieg mutmaßliche IS-Kämpfer von einer hohen Mauer stürzen und dann auf die Männer unter sich schießen. Auf anderen Bildern ist ein Soldat zu sehen, der einen auf dem Boden knieenden Mann erschießt. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) wirft den irakischen Truppen vor, sie hätten Frauen und Kinder mit mutmaßlichen Verbindungen zum IS in ein Lager nahe Mossul gebracht, das von den Behörden als "Rehabilitierungslager" beschrieben wird. Mindestens 170 Familien seien dort untergebracht. Die irakischen Behörden dürften nicht ganze Familien für die Handlungen eines Verwandten bestrafen, so HRW. Festzustellen ist, dass von allen Seiten erhebliche Menschenrechtsverletzungen zu registrieren sind. Gewalt und Gräueltaten scheinen keine Grenzen zu kennen.

Die Erzählungen der Flüchtlinge, aber auch der Menschen, die in Mossul bis zum Schluss ausharrten, waren zuweilen kaum zu ertragen. Schiitenmilizen, irakische Armee, sunnitische Kampfverbände und vor allem der IS: Der Eindruck entstand, dass sie sich in einem Wettbewerb der Gewalt befanden. Selbst die internationale Allianz unter der Führung der USA musste sich Kritik gefallen lassen, dass sie rücksichtslos Zivilisten und deren Häuser bombardierten. In der Schlacht um Mossul gab es keine Guten mehr. Wie viele tausend Menschen dabei getötet wurden, hält die Regierung in Bagdad unter Verschluss. Man wolle dem IS keine Genugtuung gönnen, heißt es offiziell.

Die Hydra lebt weiter

Auch wenn die Dschihadisten nun in Mossul besiegt sind und auch ihre Niederlage im syrischen Rakka nur noch eine Frage der Zeit ist, bedeutet dies noch lange nicht, dass der IS Geschichte ist. Dem Trugschluss wird nur allzu gerne Rechnung getragen. Noch immer kontrolliert "Daesh", das arabische Wort für IS, große Gebiete der syrischen Provinz Deir as-Zour an der Grenze zum Irak. Auch im Irak selbst gibt es noch Städte, Dörfer und Regionen, die fest in der Hand der Dschihadisten sind und in die sie sich angesichts der sich abzeichnenden Niederlage in Mossul zurückgezogen haben.

Allerdings gibt es kein zusammenhängendes Territorium mehr, das einem Staatsgebilde gleichkommt. So liegt Hawija, eine 100.000-Einwohner-Stadt südlich von Kirkuk etwa 200 Kilometer von Tal Afar entfernt, der nächsten Terrorzelle des IS nordwestlich von Mossul. Auch in Anbar, der flächenmäßig größten Provinz Iraks, westlich von Bagdad, ist die Grenzregion zu Syrien nach wie vor IS-Gebiet. Und Dijala, die Provinz nordöstlich von Bagdad, verzeichnet seit Wochen wieder zunehmend Terrorübergriffe auf ihre Städte und Dörfer.

Dies zeigt, dass mit militärischen Mitteln der IS nicht zu besiegen sein wird. Das Kalifat ist zwar weitgehend zu Ende, der Terror aber noch lange nicht. Al-Kaida-Plus, wie die Iraker die Organisation von Abu Bakr al-Baghdadi schon von Anfang an nannten, wird sich neu aufstellen, neue Mitglieder rekrutieren, einen neuen Namen finden. Die Hoffnung vor allem der westlichen Welt, dass, wenn der Kopf der Truppe eliminiert sei, das gesamte Gebilde in sich zusammenfällt, hat sich schon mehrmals ins Gegenteil verkehrt. Nachdem der jordanische Terrorist und Begründer von Al-Kaida im Irak, Abu Musaab al-Sarkawi, 2006 von amerikanischen Truppen getötet wurde, gründete sein gelehriger Schüler al-Bagdhadi den IS. Fünf Jahre später töteten ebenfalls US-Soldaten Al-Kaida-Chef Osama bin Laden. Danach verbreitete sich der Terror weltweit. Doch anstatt über einen politischen Plan für die Post-IS-Zeit nachzudenken, um eine Befriedung zwischen den verfeindeten Volksgruppen zu versuchen, entwerfen die Verantwortlichen bereits neue militärische Strategien.