Schweden tätigt die höchsten Forschungsausgaben Europas und betrachtet dies als wichtig.
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"Wiener Zeitung": Der Physik-Nobelpreis an Anton Zeilinger rückte auch Europas Forschungskaiser Schweden in den Fokus. Während eine Eurobarometer-Umfrage der österreichischen Bevölkerung eine Grundskepsis gegenüber den Wissenschaften attestiert, sei Schwedens Gesellschaft der unmittelbare Einfluss von Wissenschaft und Forschung auf Alltag und Wohlstand bewusst, heißt es einer Aussendung Ihres Ministeriums über das skandinavische Land. Wie darf man sich das praktisch vorstellen?Martin Polaschek: Ich war offizieller Repräsentant Österreichs bei der Nobelpreisverleihung an Anton Zeilinger, welche den Umgang Schwedens mit der Wissenschaft recht gut illustriert. Die Nobelpreisverleihung wird dort von allen aktiv verfolgt. Die Leute schauen sich nicht nur die Verleihung im Fernsehen an, sondern auch das Bankett und die künstlerischen Darbietungen - es ist vielleicht vergleichbar mit dem Opernball. In Schweden stößt Wissenschaft auf großes Interesse - man sieht dort ein breites Bewusstsein und den Grundkonsens, dass sie eine große Bedeutung hat für die Menschen. Hier hat Österreich Aufholbedarf.
Die Nobelpreise und die Schwedische Akademie, die sie verleiht, gelten als Inbegriff der Top-Grundlagenforschung. Zudem hat das Land eine forschende Industrie mit sichtbaren Resultaten von Autos bis Handys. Ist das eine besonders vorteilhafte Ausgangsposition für eine breite Akzeptanz für Wissenschaft?
Sie haben zum Teil recht. Dennoch ist Österreich nicht nur eine Kultur-, sondern auch eine Forschungsnation, und wir müssen den Menschen stärker bewusst machen, wie sehr Wissenschaft unseren Alltag und Wohlstand prägt. Die Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW) transportiert Forschung auf höchstem Niveau - ich verweise etwa auf das Archäologische Institut mit den Ausgrabungen in Ephesos. Auch die Qualität unserer Universitäten kann durchaus mit Schweden mithalten. In der angewandten Forschung verweise ich etwa auf die Halbleiter- oder die Pharmaindustrie. Forschung schafft Arbeitsplätze, Produktion und Umsatz, hat also über die wissenschaftliche Tätigkeit hinaus einen großen Wert. Wenn man sich den wirtschaftlichen Impact der Unis anschaut, sieht man, dass das investierte Geld vielfach zurückkommt.
Stichwort Geld: Im internationalen Vergleich, der für das Jahr 2020 vorliegt, wies Österreich mit 3,22 Prozent hinter Schweden (3,53 Prozent) und Belgien (3,48 Prozent) die dritthöchste Forschungsquote innerhalb der EU auf, bei der Innovationsfähigkeit verbleiben wir aber im oberen Mittelfeld. Unser Nobelpreis, der viele begeisterte, ist auch ein finanzielles Signal als Ergebnis schwerpunktmäßiger Investitionen in die Quantenphysik. Investieren wir genug für einen zweiten Nobelpreis?
Es wird seit Jahrzehnten investiert, nicht nur in Quantenphysik. Der neue Pakt für Forschung, Technologie und Innovation (FTI-Pakt) sieht eine deutliche Steigerung für Forschung um 34 Prozent vor und auch, wenn es derzeit durch die Teuerung untergeht, war das Universitätsbudget noch nie so hoch wie jetzt. Es gab für Unis und Hochschulen eine Steigerung von mehr als 12 Prozent. Österreich ist sich allerdings auch dessen bewusst, dass es auch weiterhin entsprechend Geld in die Hand nehmen muss.
Sie möchten Wissenschaft ins Zentrum der Öffentlichkeit rücken, wie Sie sagen "in die Schulen, die Wirtshäuser und Wohnzimmern der Menschen" bringen. Was lässt sich diesbezüglich von Schweden auf Österreich übertragen?
In Schweden gibt es generell eine größere Offenheit gegenüber Wissenschaft als bei uns, und das müssen wir ändern. Wir müssen das Interesse der Menschen an Wissenschaft stärker wecken und sie dafür begeistern. In Schweden beginnen Initiativen schon in Kindergärten und Schulen. Es wird anhand von Beispielen gezeigt, dass Forschung nichts Abgehobenes ist, sondern etwas, das dem Land zugutekommt. Wir müssen in Kindern Neugierde wecken und ihnen nahebringen, kritisch zu denken und die Hoffnung zu haben, dass Wissenschaft ein wichtiger Faktor für eine glückliche Zukunft und ein gutes Leben ist, und es ermöglicht, Herausforderungen als Gesellschaft zu meistern. Auch die Medienkompetenz junger Menschen ist zu fördern. In diesem Zusammenhang halte ich es für wichtig, dass mehr Wissenschaftsjournalismus betrieben und entsprechend unterstützt wird.
Sie planen einen 10-Punkte-Plan zum Abbau von Wissenschaftsskepsis. Unter anderem wollen Sie "Wissenschafts- und DemokratiebotschafterInnen" in die Schulen bringen. Was sollen diese Personen tun?
Wir sehen eine Verbindung zwischen Wissenschaftsskepsis und Demokratiefeindlichkeit und wollen mit dem 10-Punkte-Programm verschiedene Maßnahmen dagegen setzen. Ein erster Schritt ist, Wissenschafter in die Schulen zu schicken, wo sie mit jungen Leuten über ihre Arbeit, persönliche Erlebnisse und den Wert von Wissenschaft sprechen und vermitteln, was es heißt, einen solchen Beruf auszuüben. Auch soll aufgezeigt werden, dass Wissenschaft nicht immer nur eine einzige Antwort hat.
Nicht alle Forschenden wollen ihre Ergebnisse mit der Öffentlichkeit teilen, weil Wissenschaftskommunikation hierzulande im Karrierepfad nicht belohnt wird, sondern zusätzliche Arbeit bedeutet, die in der Freizeit zu entrichten ist. Auch Sie setzen mit "Wissenschafts- und DemokratiebotschafterInnen" auf "freiwilliges Engagement". Warum?
Wissenschafter werden in den meisten Fällen über Steuergelder bezahlt. Zu den Aufgaben der Personen in staatlich finanzierten Institutionen zählen Forschung, Lehre und Administratives und wir müssen auch Wissenschaftskommunikation stärker als Teil des Berufsbildes verankern.
In der Freizeit für Gottes Lohn?
Man muss sich auf jeden Fall ein Anreizsystem überlegen, etwa durch Anschub-Finanzierungen oder Modelle, die in diesem Bereich tätige Personen unterstützen. Der Staat könnte auch spezielle Förderungen ausloben, um Forschungsergebnisse den Menschen nahezubringen. In den USA müssen Forschende, die Förderungen bekommen, Maßnahmen zur Wissenschaftskommunikation in den Antrag schreiben und sich somit dazu verpflichten. Auch in Österreich findet hier durchaus ein Bewusstseinswandel statt.
Wissenschaftsskepsis steigt, wenn Fakten die Freiheit einschränken, wie die Proteste gegen die Corona-Maßnahmen zeigten. Es geht also auch um eine Art von kulturellem Wandel, in dem wir erlernen, quasi das Sinnvolle dem Freiheitsstreben vorzuziehen. Wie kann man einen solchen Wandel vorantreiben?
Vor diesen Herausforderungen stehen im Grunde alle Gesellschaften und einen solchen Wandel gibt es immer wieder. Auch bei der Einführung der Sitzgurte im Auto gab es anfangs erstaunliche Einwände. Etwa wurde argumentiert, dass die Leute Haltungsschäden bekämen, wenn sie ins Auto gesperrt würden, oder dass die Zahl der schweren Unfälle zunehmen würde, weil der Gurt die Menschen erwürge. Abgesehen davon gibt es ja auch Skepsis, wenn Wissenschaft niemanden einschränkt, schon allein wegen Desinteresse. Das Wichtige ist, Erkenntnisse den Menschen entsprechend zu vermitteln.
Wie ist der 10-Punkte-Plan für die Wissenschaftskommunikation finanziell unterlegt?
Das ist ein zentraler Schwerpunkt meines Ministeriums, der in sämtliche Aktivitäten einfließt. Wir sind dabei, den 10-Punkte-Plan zu operationalisieren und Schritt für Schritt umzusetzen. Dabei sind sämtliche Bereiche und Institutionen miteinbezogen. Das macht es unmöglich, das gesamthaft zu beziffern.