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Alle reden von der Spaltung des Landes, dabei eint uns sehr viel mehr.
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Wien. Weil gerade medial hyperventilierend über die Spaltung Österreichs diskutiert wird: Die sehr viel wichtigere Frage, nämlich was dieses Land und seine Menschen zusammenhält, wird nicht einmal ignoriert.
Was also eint uns? Eine spontan-improvisierte, keinesfalls repräsentative Umfrage via Facebook unter Freunden meiner 26-jährigen Tochter:
Dass es uns gut geht und es tunlichst auch so bleiben soll - wirtschaftlich und liebestechnisch.
Die Bereitschaft, das Richtige für Österreich zu tun, egal, was im Detail darunter verstanden wird.
Am ehesten die Unzufriedenheit mit der Politik im Allgemeinen und der Regierung im Besonderen.
Fleiß und Tatendrang, Offenheit, Hilfsbereitschaft und Vielfalt.
Der lange Kampf um Österreichs Identität
Das klingt eigentlich ganz zuversichtlich. Tatsächlich schlägt, glaubt man einschlägigen Studien, das Gemeinsame das Trennende um Längen. In Sachen Nationalstolz etwa macht uns so schnell keiner etwas vor: Der Anteil derjenigen, die "sehr stolz" auf ihr Land sind, pendelt um die 50 Prozent, "ziemlich stolz" sind weitere rund 35 Prozent. Und fast zwei Drittel der Österreicher sind überzeugt, dass ihr Land besser ist als die meisten anderen. Es wäre nicht das erste Mal, dass die Gefühle mit uns durchgehen. Dabei haben die Österreicher erst spät zueinandergefunden.
"Es gibt kein geschichtliches Gebilde in Europa, dessen Existenz so sehr mit Identitätsproblemen seiner Mitglieder verbunden ist wie Österreich." Der Satz stammt aus Friedrich Heers epochalem Werk "Der Kampf um die österreichische Identität" aus dem Jahr 1981. Für den kritischen Katholiken Heer (1916 bis 1983) lagen die Wurzeln des politischen Glaubenskampfes, der die Geschichte Österreichs prägte, in der von oben herab durchgesetzten Gegenreformation. Die teils gewaltvolle Zurückdrängung des österreichischen Protestantismus ist für ihn das zentrale Trauma unserer Vergangenheit.
Diese Zerrissenheit endete für Heer erst mit der Gründung der Zweiten Republik 1945 sowie der Neutralitätserklärung und dem Staatsvertrag 1955. Seitdem ist klar, was die Österreicher sind: eine Nation. Aus dem Land, das noch in den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts niemand wollte, ist ein Staat geworden, auf den die Menschen - nach und nach - begonnen haben, stolz zu sein, so der Grazer Soziologe Manfred Prisching. "Mittlerweile", so der Meinungsforscher Rudolf Bretschneider, "ist der Stolz auf Österreich nachgerade schon chronisch." Das Integrationsministerium betreibt sogar eine Homepage "www.stolzdrauf.at".
Weitaus diffuser dagegen ist, worauf genau die Menschen eigentlich so stolz sind. Die meisten Nennungen entfallen in der Regel auf die landschaftliche Schönheit des Landes und seiner Natur, die Kultur unter besonderer Berücksichtigung von Musik und Literatur, ganz allgemein die Geschichte und vor allem der Stephansdom, das gute Essen, die Qualität des Wassers (zum Trinken wie zum Baden) - allesamt Errungenschaften, die - mit Ausnahme des Essens und der Naturpflege - der heutigen Generation durch mehr oder weniger glückliche Umstände in den Schoß gefallen sind. Und nicht zu vergessen: unsere - vorgebliche oder tatsächliche - Gemütlichkeit, gepaart mit einem erstaunlichen Leistungswillen.
Landschaft, Kultur und sozialer Friede
Schwerer fällt es uns, explizit politische Leistungen hochzuhalten. Sicher, da gibt es Staatsvertrag und Neutralität, aber beide tauchen langsam in den Nebel historischer Erinnerung ein. Aktueller ist da Österreich als atomkraftfreie Zone. Hier agierte das Land für einmal als Avantgarde einer Entwicklung, die man auch progressiv nennen könnte. 1978 votierte eine - um eine aktuell populäre Floskel aufzugreifen - "arschknappe" Mehrheit von 50,5 Prozent gegen die Inbetriebnahme Zwentendorfs, Deutschlands Atomausstieg folgte endgültig erst 2011. Eine ähnliche Vorreiterrolle nahm das Land beim Umweltschutz, Stichwort Hainburg, ein.
Allerdings wird es umso heikler, je politischer es zugeht. Auf die Aufbauleistung nach 1945 und die bis heute starke Wirtschaft stolz zu sein, darauf können sich praktisch alle einigen, auch auf die verdienstvolle Rolle, die die Sozialpartnerschaft dabei spielte. Die halten nach wie vor viele in Ehren, aber als großes einigendes Band taugt der real existierende Verbände- und Kammernstaat nicht mehr. Obwohl: Nähert man sich der Frage von hintenherum, mausern sich das hohe Niveau an sozialer Sicherheit und die Abwesenheit handfest ausgetragener gesellschaftlicher Konflikte zu einem Fundament, auf dem sich gut gemeinsam streiten lässt. Das zeigt sich auch in einer ausgeprägten Solidarität mit Schwächeren, dank derer den Österreicherinnen und Österreichern regelmäßig das Siegel der "Spenden-Weltmeister" verpasst wird.
Die Zeiten, in denen das stärkste Band der Österreicher die markanten Unterschiede ihrer Sprache(n) zum deutschen Nachbar war, sind längst vorbei. Obwohl: Für einen spontanen "Sahnekrieg" oder eine überfallsartige "Marillenschlacht" ist man hierzulande ja allzeit bereit.
Ethnisch bunte Hochleistungsgesellschaft
Die besondere Sprache als verbindendes Element hat sich aber noch aus einem anderen Grund großflächig erledigt: Mittlerweile haben laut Statistik Austria 20 Prozent der heimischen Bevölkerung einen Migrationshintergrund, das heißt, dass sie entweder selbst im Ausland geboren wurden oder die Kinder von Zuwanderern sind. Nicht zuletzt diesem Umstand ist es zu verdanken, dass sich ein Faktor wieder in das Stolz-Bewusstsein der Nation zurückgespielt hat, der lange Zeit am liebsten verdrängt wurde: die Fußball-Nationalmannschaft. Das Team um Alaba, Fuchs, Arnautovic, Baumgartlinger, Dragovic, Garics oder Özcan sorgt im Stadion für ungeahnte nationale Euphorie und spiegelt, ganz nebenbei, die neue gesellschaftliche Realität Österreichs als ethnisch bunter Hochleistungsgesellschaft wider.
Alles eitel Wonne ist dennoch längst nicht alles. Während die erste Generation der Zuwanderer mit ihrer, so der Soziologe Prisching, "Working-hard-Mentalität" in Österreich emotional angekommen sind, entwickelten ihre hier geborenen Kinder Ansprüche wie jeder andere auch. Nur erfahren sie in der Realität, dass ihnen noch längst nicht die gleichen Aufstiegschancen offenstehen. Es gibt also noch Lücken und Schwachstellen im Band, das uns zusammenhält.